■ Im Zuge ihres demonstrativen Kampfes gegen die Umfrageergebnisse haben die Bündnisgrünen ihren internen Ost-West-Streit begraben. Selbstbewußt rüstet sich die Partei für eine rot-grüne Koalition.: Mutmachen zum Machtwechsel
Im Zuge ihres demonstrativen Kampfes gegen die Umfrageergebnisse haben die Bündnisgrünen ihren internen Ost-West-Streit begraben. Selbstbewußt rüstet sich die Partei für eine rot-grüne Koalition.
Mutmachen zum Machtwechsel
„Leute, es geht um verflucht viel. Laßt euch nicht auseinanderdividieren. Legt noch zwei, drei Takte zu, dann können wir es schaffen.“ Joschka Fischer, Star der Partei, war sich auch als Einpeitscher seiner Truppe nicht zu schade. „Kohl hat keine Mehrheit mehr, es liegt an uns, was wir nun daraus machen.“
Der Länderrat von Bündnis 90/Grüne – das höchste Gremium zwischen den Parteitagen – am Wochenende in München, eine Woche nach dem Wahldesaster in Sachsen und Brandenburg und eine Woche vor den Landtagswahlen in Bayern, war gedacht als Forum für die Reformvorschläge der Partei und letzte Aufwärmrunde für den Schlußspurt im Bundestagswahlkampf. Daß es in vielen Redebeiträgen letztlich vor allem darum ging, sich selbst und den eigenen Anhängern Mut zu machen, hat mit dem Pro-Kohl-Stimmungsumschwung in der Republik, dem Dämpfer im Osten und den dadurch aktualisierten Schwierigkeiten der Parteienfusion von Grünen und Bündnis 90 zu tun.
Jürgen Trittin, Ex-Bundesratsminister aus Niedersachsen, der zur Zeit als Nachfolger von Ludger Volmer als Vorstandssprecher der Partei gehandelt wird, widmete sich am ausgiebigsten dem Kampf gegen die Umfrageergebnisse. Sein Fazit: eine genaue Analyse zeige, daß die derzeitige Koalition keine Mehrheit mehr hat und Kohl, die Blockademöglichkeiten der SPD im Bundesrat vor Augen, bereits jetzt eine Große Koalition anstrebe. „Die Aufgabe der Bündnisgrünen ist es, die zu verhindern.“ Warum? Beispielsweise, um einer Militarisierung der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik einen Riegel vorzuschieben.
So pendelten die meisten Appelle, Beschwörungen, Analysen und Repliken zwischen den Polen Mutmachen zum Machtwechsel und einzelnen Punkten eines grünen Reformprogramms. Bewußt ausgespart wurde die im Vorfeld hochgekochte, vermeintliche Spaltungsgefahr zwischen Ost und West, die allerdings von den ostdeutschen Delegierten auch heftig dementiert wurde.
Das Reformprogramm der Grünen, eine Präzisierung des Mannheimer Parteiprogramms für die kommende Legislaturperiode, ging dagegen ohne größere Debatten über die Bühne. Zehn Reformpunkte wollen die Grünen in einer Bundesregierung, an der sie beteiligt sind, berücksichtigt sehen. Den Einstieg in einen ökologischen Umbau der Wirtschaft durch eine andere Energie- und Verkehrspolitik, woran gleichzeitig die Hoffnung geknüpft wird, dadurch auch neue, zukunftsrelevante Arbeitsplätze schaffen zu können. Darüber hinaus wollen die Grünen die bezahlte Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung auf mehr Leute verteilen, wobei die Lohneinbußen dann sozial gestaffelt werden sollen. Während auf dem Mannheimer Parteitag noch Fragen wie Umwandlung der Nato in eine zivile Organisation oder die Abschaffung der Bundeswehr für Furore sorgten, ging es am Wochenende in München fast ausschließlich um innenpolitische Vorschläge.
Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, eine Menge ungedeckter Schecks zu verteilen, ist das Reformprojekt gekoppelt mit einem Finanzierungsvorschlag und zahlreichen Querverweisen, wie ein zukünftiger Bundeshaushalt umgeschichtet werden könnte. Anders als die SPD wollen die Grünen Vorhaben wie einen Lastenausgleich deutsche Einheit und die Einführung einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung – die dann die Sozialhilfe ersetzt – nicht unter einen generellen Finanzierungsvorbehalt stellen. Sie glauben dies durch eine andere Besteuerung, wie etwa die drastische Erhöhung der Erbschaftssteuern bei größeren Erbschaften erwirtschaften zu können.
Neben dem ökologischen Umbau und sozialen Wohltaten setzt die Partei aber vor allem auf gesellschaftliche Projekte, die mehr die politische Kultur als den Geldbeutel betreffen. Die Gleichstellung der Geschlechter, der Ausbau von Bürger- und Minderheitenrechten, ein neues Staatsbürgerschaftsrecht und ein Einwanderungsgesetz erfordern nicht so sehr mehr Geld, sondern Veränderungen im Kopf – und die soll eine Reformkoalition angehen. In diesem Punkt sind die meisten Grünen optimistisch. Sollte es für eine rot-grüne Koalition reichen, glaubt man mit der SPD am einfachsten die gesellschaftspolitisch wichtigen, aber finanziell nicht so gravierenden Projekte durchziehen zu können.
Zwar beklagte Ludger Volmer schon aus alter Gewohnheit auch in München immer mal wieder die Unentschlossenheit, Unwissenheit und das Herumeiern des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten in ökologischen Fragen. Zwar erinnerten etliche RednerInnen an die de facto Große Koalition bei der Abschaffung des Asylgrundrechts. Aber die Kritik gilt dennoch nur mehr mit Einschränkungen. Die SPD, davon sind die führenden Köpfe der Bündnisgrünen mittlerweile überzeugt, wird sich zumindest ein Stück weit in die „richtige Richtung“ drängen lassen – wenn es denn für Rot-Grün reicht. Was aber passiert, wenn nicht?
„Alles andere als Rot-Grün ist Zeitverschwendung“, beschwor Volmer via Fernsehen die Wähler. Und mit ihm hoffen alle zukünftigen VerhandlungsführerInnen der Partei, die in München ebenfalls ausgeguckt wurden, daß sie ihre Zeit nicht doch noch für andere Konstellationen aufwenden müssen. Man würde natürlich auch mit der FDP reden, heißt es. Doch Freude kommt bei der Vorstellung nicht auf.
Offiziell gilt die Parole: Der linke Liberalismus kommt in der heutigen FDP nicht mehr vor, die Partei ist eigentlich reformunfähig. Trotz des verbalen Querschlägers aus Magdeburg, der während der Veranstaltung in Form einer Spiegel-Kopie durch die Journalistenreihen wanderte (siehe Artikel unten), ließ Ludger Volmer auch an der PDS kein gutes Haar. Die SED-Nachfolgepartei habe politisch nichts vorzuweisen, sie sei unglaubwürdig in ihrem Programm und perspektivisch überflüssig. Und sie spalte, zusammen mit den Christendemokraten, das Land. Kein Partner also, jedenfalls jetzt nicht und auf Bundesebene schon gar nicht.
Übrigens, erwähnt wurde die Abschaffung der Bundeswehr auch in München wieder. Nur hat es jetzt kaum noch jemanden interessiert.
Und mittlerweile hat sich wohl auch herumgesprochen, daß in der kommenden Legislaturperiode erst einmal nur die Wehrpflicht dran glauben soll. Jürgen Gottschlich, München
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