Kernkraftwerke und Quarzuhren

■ Atomstrahlungs-Grenzwerte nicht wissenschaftlich fundiert

„Erlaubte Freisetzungen“, „Grenzwerte, die nicht überschritten wurden“: Begriffe, die auch in der derzeitigen Diskussion um die Gefährlichkeit des Atommeilers in Krümmel immer wieder fallen. Sie suggerieren, daß es geringe Mengen von Strahlung geben könnte, die nicht gesundheitsschädlich sind. Daran schließt sich ein beliebtes Argument von Kernkraft-SympathisantInnen an: Radioaktivität gebe es auch in der Natur, und eine Quarzuhr könne ebenso strahlen.

Doch bei den Grenzwerten zur atomaren Strahlung handelt es sich um Festsetzungen, die weder wissenschaftlich getestet noch untermauert sind. Dietrich Henschler, Toxikologie-Professor an der Universität Würzburg, Erfinder der MAK-Werte (Maximale Arbeitsplatz-Konzentrationen) sowie Leiter der bundesdeutschen MAK-Kommission, wies auf dem Hamburger Kongreß der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte gestern auf diese Tatsache hin.

Während bei chemischen Substanzen davon ausgegangen werden könne, daß sie nur vorübergehende Gesundheitsschäden anrichten, sei bei Strahlung von einer dauerhaften, irreversiblen Schädigung auszugehen. Bei atomaren Emissionen sei eine normale Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht haltbar, ein wissenschaftlich fundierter Grenzwert somit nicht festzulegen. Daher wurden für krebserzeugende Stoffe die sogenannten TRK-Werte (Technische Richt-Konzentrationen) eingeführt, die aber ein Restrisiko grundsätzlich in Kauf nähmen.

Diese Rest-Strahlung aber sammelt sich im menschlichen Körper an. Je häufiger und je länger Zellen dem Beschuß von radioaktivem Material ausgesetzt sind, desto weniger sind bestimmte Eiweiße – sogenannte Tumorsupressoren – in der Lage, das geschädigte Genmaterial zu reparieren. Irgendwann kommt es dann zu Krebs.

Rein theoretisch könnten deshalb auch die Quarz-Uhr oder die natürliche Strahlung in unserer Atmosphäre Krebs auslösen. Schließlich gibt es bösartige Geschwüre nicht erst seit dem Atomzeitalter. Aber – in vorindustriellen Zeiten waren sie im Unterschied zu heute eher selten.

Da die TRK-Werte sowieso nicht wissenschaftlich abgesichert seien, sollte die Forschung auf deren Festlegung ganz verzichten, forderte Henschler. Vielmehr müßten solche Grenzwerte in einer „gesellschaftlichen Diskussion mit allen politischen Richtungen und Verbraucherverbänden“ bestimmt werden. Noch gesünder wäre es allerdings, ganz auf tödliche Risiko-Technologie zu verzichten. Schließlich gibt es Alternativen zu Kernkraftwerken und Quarzuhren.

Annette Bolz