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: Protokolle des Sports

■ Carlo Thränhardt, selber keiner, löchert zehn OlympiasiegerInnen

„Ich hatte Leute im Armhebel und habe die so weit durchgezogen, bis ich die Sehnen habe zischen hören. Das hört man, wenn man den Arm so durchstreckt, zwischen den Armen und zwischen den Beinen, das zischt richtig. Pomm, pomm geht das. Dann hörst du die Sehnen richtig abreißen.“ So erzählt der Olympiasieger im Judo, der Kunst des „sanften Weges“.

Frank Wieneke ist einer von zehn Olympiasiegern, die gegenüber dem zum Buchautoren gewordenen Ex-Hochsprungweltrekordler Carlo Thränhardt tun, was in den neuen Bundesländern Mode war, wenn man sich Orientierungslosigkeit gestand: die eigene Biographie erzählen.

Zehn sehr verschiedene Menschen – unterschiedlich berühmt, unterschiedlich reich, unterschiedlich glücklich, alle aber einmal Goldmedaillengewinner gewesen – ziehen unterschiedlich auskunftsfreudig Bilanz der Zeit, in der sie als Helden galten. Da sind die Freunde, die einen zufällig zu der Disziplin bringen, die das weitere Leben prägen wird. Da sind die ehrgeizigen und autoritären Väter. Da ist der Sport immer noch entscheidend für sozialen Aufstieg und das eigene Selbstwertgefühl.

Über Boris Becker und Henry Maske erfährt man so viel Neues nicht, Heike Henkel ist viel mehr das einfache Mädchen vom Lande, als es ihrem Werbe-Image guttut, und Christian Schenk und Kristin Otto machen uns bewußt, wie vieles uns noch fremd ist vom Leben in der ehemaligen DDR. Besonders authentisch erzählen die Unbekannteren, die ohne geschliffene Sprache: Fredy Schmidtke, der nach seinem Gold gescheiterte, der nun in Schichtarbeit die Schulden abstottert; Frank Wieneke, der Judoka, der noch offener als die Fechterin Zita Funkenhauser am Fair-play-Mythos gerade des Kampfsports rüttelt („Ich habe meinen Gegnern teilweise die Finger gebrochen, ich habe denen zwischen die Beine gefaßt und ins Auge gestochen, das ist so“) und Rolf Milser, der ewige Duisburger Junge.

Alle können die Daten und Zahlen ihrer Erfolge exakt hersagen, von ihren Körpern und Verletzungen können sie minutiös berichten, ebenso wie von der Spannung und Konzentration, die sie für den Wettkampf brauchen. Aber für das Glücksgefühl, das der endliche Olympiasieg dann bedeutete, finden sie kaum Worte. Um das Thema Doping schleichen sie herum.

Antrieb ist stets, etwas für die ganze Gattung Besonderes zu leisten. Nach der Erfüllung kommt das Loch, die Sinnkrise, für die der Autor, selbst in vergleichbarer Lage, ein besonders offenes Ohr hat. Bei der Planung des Lebens danach werden die sozialen Unterschiede am deutlichsten. Das Buch räumt auf mit dem Klischee vom ausschließlich asketischen Athleten. Fast alle berichten von Besäufnissen, Ausflügen in Kneipen und „die Szene“, als hätten sie ans Höllentor geklopft. In solchen Passagen sind die Biographien fast paradigmatisch für eine Generation: Auch Jungmanager oder Fernsehkarrierristen würden sich wohl ähnlich kreisend um die Begriffe Leistung und Hedonismus äußern.

Der Autor selbst, für seine Exzentrik bekannt, nimmt sich angenehm zurück, und so ist ein Buch entstanden ohne Enthüllungen und Sensationen, das dennoch einige überraschende Einblicke gewährt, weil es nichts will, als Menschen von sich erzählen zu lassen – eine Art „Bottroper Protokolle“ des Spitzensports. Bernd Gäbler

Carlo Thränhardt, „Helden auf Zeit. Gespräche mit Olympiasiegern“. Kiepenheuer & Witsch, 217 Seiten, 14,90 DM