Falsche Wege

■ "Aktionstag gegen Wohnungsnot" am Samstag findet in Berlin ohne Unterstützung der Wohlfahrtsverbände statt

Mangelnde finanzielle Unterstützung werfen die Berliner Organisatoren des bundesweiten „Aktionstages gegen Wohnungsnot“ den Wohlfahrtsverbänden vor. „Die boykottieren uns finanziell“, so Norbert Pischke, einer der Organisatoren, gegenüber der taz. Die Berliner Veranstaltung der bundesweiten Aktion gegen Obdachlosigkeit tragen eine Betroffeneninitiative, der Arbeitskreis Wohnungsnot und der Berliner Mieterverein allein. Bundesweit sind die Wohlfahrtsverbände im Trägerkreis vertreten, doch nicht in Berlin. „In diesem Jahr war von den Wohlfahrtsverbänden niemand bereit, die Federführung zu übernehmen“, klagt Pischke. In Berlin stehen gerade mal 3.500 Mark für das Programm zur Verfügung, das am Samstag von 10 bis 16 Uhr auf dem Weddinger Leopoldplatz stattfindet.

Beim Diakonischen Werk läßt man den Vorwurf nicht auf sich sitzen. „Wir haben die Druckkosten für die Zeitung übernommen und sie verteilen lassen“, so der Referent für Obdachlosigkeit, Hermann Pfahler. Er selbst wird Samstag mittag in seiner Freizeit an der Podiumsdiskussion teilnehmen. „Im letzten Jahr waren einige Mitarbeiter unserer Obdachlosen- Projekte an den Vorbereitungen des Aktionstages beteiligt, aber unsere Kapazitäten sind erschöpft“, begründet er die Zurückhaltung seiner Organisation. Die Arbeit vor Ort gehe vor.

Von Caritas und Paritätischem Wohlfahrtsverband (DPWV) war gestern keine Stellungnahme zu bekommen. Beim DPWV hieß es lediglich: „Das Thema Wohnen wird bei uns nicht mit allergrößter Priorität behandelt.“

Hermann Pfahler kritisierte, daß das Augenmerk der Öffentlichkeit sich zu sehr auf Notunterkünfte und Suppenküchen richte. „Für die Integration der Obdachlosen wird zuwenig getan. Unser Ziel ist nicht, die Leute mit Substandard zu versorgen, sondern sie zu integrieren.“ In den letzten Jahren hat das Diakonische Werk rund hundert Wohnungen angemietet, die an Obdachlose untervermietet werden. Damit habe man „gute Erfahrungen“ gemacht. Wenn Probleme auftauchen, können sich die neuen Mieter an elf MitarbeiterInnen wenden. Sie bieten in vier über die Stadt verteilten Büros Sprechstunden an, machen Hausbesuche und organisieren auch Gruppenaktivitäten wie gemeinsame Kochabende oder Skatturniere. Ob es um Mahnungen von Bewag oder der Telekom sind, die noch aus früheren Mietverhältnissen offen sind, oder es „in Einzelfällen“ Ärger mit den Nachbarn gibt, die SozialarbeiterInnen schalten sich vermittelnd ein. Nur bei zehn Prozent der ehemals Obdachlosen scheitere eine solche Wiedereingliederung, so Pfahler.

„Wir könnten gut und gerne noch 200 weitere Wohnungen brauchen“, sagt Pfahler. Doch das scheitert an den fehlenden Finanzen. Von der Sozialsenatorin wünscht er sich aber nicht nur „mehr Geld“. Er fordert auch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Finanzen, Bauen und Soziales. Daß Bausenator Nagel die Einkommensgrenzen für Sozialwohnungen von 65.700 auf 72.500 Mark (für eine vierköpfige Familie) heraufgesetzt hat, hält er für den „falschen Weg“. Pfahler meint, man müsse statt dessen diejenigen bevorzugen, die buchstäblich auf der Straße stehen. Dorothee Winden