■ Zum „Soldaten“-Urteil des Verfassungsgerichts
: Helm ab zur Debatte

„Soldaten sind Mörder“. Über Jahrzehnte wurden in der Bundesrepublik diejenigen verurteilt, die diese Parole schwangen. Es waren die Jahrzehnte, in denen die Chancen deutscher Soldaten, zu Mördern zu werden, ziemlich eingeschränkt blieben. Just in dem Moment, in dem die militärische Selbstbeschränkung nicht mehr zeitgemäß scheint und die verfassungsrechtlichen Restriktionen für den Einsatz der Bundeswehr von höchster Stelle aus beseitigt wurden, entfällt auch die juristische Sanktion der „Mörder“- Parole. Ein wirklich schöner, ein quasi liberaler Zufall. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes wirkt wie eine nachholende Anpassung der Rechtslage an die neuen Verhältnisse. Natürlich haben sich die höchsten Richter gehütet, einen Zusammenhang zwischen ihren jüngsten „Bundeswehrurteilen“ herzustellen. Tun wir es: Es erscheint angemessen, daß diejenigen, die künftige Auslandseinsätze deutscher Soldaten für politisch richtig und gerechtfertigt halten, nicht qua juristischer Sanktion vor den härtesten, verbalen Attacken ihrer Gegner verschont bleiben.

Das sagt nun wirklich nichts über den Wahrheitsgehalt der Parole. „Soldaten sind Mörder“, „Neger sind dumm“, „Männer sind Vergewaltiger“, die Struktur solcher Urteile ist immer die gleiche. Sie sind schwer erträglich, aber auch schrille Dummheiten und verletzende Übertreibungen sind vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Schön zu wissen. In der Bestätigung dieses Grundrechtes liegt die Qualität des Karlsruher Beschlusses. Und diejenigen, die der „Mörder“-Parole zuneigen, gehen einmal mehr der Sicherheit eines anderen Urteils verlustig: Richter, so können sie jetzt behaupten, sind keine Büttel der Politik.

Das scheinen andere gerade wieder zu vergessen. Als hätten wir nicht noch seine befriedigten Reaktionen auf das BVG-Urteil zu den Bundeswehreinsätzen in den Ohren, hört man jetzt von Volker Rühe ganz andere Töne. Er ruft Skandal – und weiß warum. Wer die großflächigen Anzeigen der Bundeswehr vor Augen hat, mit denen ihre neuen auswärtigen Aufgaben ganz im Lichte der Säuglingspflege erscheinen, der ahnt etwas vom eigentlichen Grund des Rüheschen Entsetzens. Eher als um die Würde des einzelnen Soldaten sorgt sich der Verteidigungsminister um Ruf und Legitimation der Institution Bundeswehr – und ihrer Einsatzperspektiven. Denn die Parole „Soldaten sind Mörder“ ist die denkbar härteste These gegen die Verniedlichungskampagne, mit der die jahrzehntelange Pazifizierung des öffentlichen Bewußtseins unterlaufen werden soll. Rühe suggeriert der Öffentlichkeit, es gäbe den bruchlos-unblutigen Übergang von der Selbstbeschränkung zu den neuen internationalen Herausforderungen. Die Wahrheit in der Übertreibung der „Mörder“-Parole liegt im Dementi dieser Suggestion.

Brunnengraben, Blutvergießen. Beides liegt im Bereich der „neuen Verantwortung“ der Bundesrepublik. Beides sollte im Kopfe haben, wer über die künftigen Auslandseinsätze streitet. Ob sie eher humanen oder blutigen Charakter haben werden, darüber entscheidet nicht zuletzt die gesellschaftliche Debatte. Die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichtes besagen: sie muß geführt werden; sie darf geführt werden. So polarisiert, wie es dem Gegenstand entspricht. Matthias Geis