Der liebe Kerl sitzt nur auf der Tribüne

■ Jörn Renzenbrink: Der Hamburger Tennisprofi ist nur Zuschauer beim Davis Cup-Halbfinale

Mit einem coolen Grinsen auf den Lippen kommt er in die Eingangshalle des Atlantic-Hotels geschlendert – Jörn Renzenbrink, der fünfte Mann im Davis Cup-Kader für das Halbfinale gegen Rußland. Doch die schlaksig wirkenden Bewegungen des 1,96-Meter-Hünen zerstören sogleich das Bild von weltläufiger Lässigkeit. So selbstsicher ist der 22jährige Hamburger Tennisspieler denn wohl doch nicht, und das Ambiente trägt augenscheinlich auch nicht unbedingt zu seinem Wohlbefinden bei.

Von seiner Nominierung als Ersatzmann für das Davis Cup-Halbfinale vom 23. bis zum 25. September am Rothenbaum hatte Jörn erst vor einer Woche erfahren. „Es kam doch ein bißchen überraschend für mich, aber es ist einfach toll“, erzählt er stolz und taut langsam auf. Als besserer Trainingspartner für Michael Stich & Co. fühlt er sich jedenfalls nicht: „Dabei sein ist alles.“ Und so schnuppert der Schlaks neugierig die ungewohnte Davis Cup-Luft, genießt die gute Stimmung in der Mannschaft und das Zusammensein mit seinen Teamkameraden, obwohl sein Platz die Tribüne sein wird: Jörn Renzenbrink, der Ersatzmann des Ersatzmannes.

Zu den anderen Spielern hat Jörn ein freundschaftliches Verhältnis, ebenso wie zu Teamchef Niki Pilic. Als „lieben Kerl“ bezeichnete Michael Stich ihn erst vor kurzem. Und genau diesen Eindruck vermittelt er auch – bescheiden, nett, ohne Starallüren. Aber noch kennen ihn nur wenige – deshalb blieb er bislang vom Medienrummel verschont.

Tennis steht erst seit drei Jahren im Mittelpunkt seines Lebens. Nach dem Abitur 1991 entschloß sich der Rissener, Tennisprofi zu werden. „Ich war ein Spätzünder“, blickt er zurück, „ich hatte mich vorher noch nicht allzu sehr auf Tennis versteift.“ Seitdem geht es stetig bergauf: Ein Challenger-Sieg in Andorra, Viertelfinale in Durban, Halbfinale beim Grand-Prix in Schenectady und gerade erst vor gut zwei Wochen das Erreichen des Achtelfinals bei den US Open katapultierten Jörn bis auf Platz 72 der Weltrangliste.

Angetrieben von Trainer Karl Meiler und Manager und Freund Hellmut Stobbe hat der aggressive Serve-and-Volley-Spieler nun den Sprung unter die ersten 50 fest im Visier – und einen Stammplatz im Davis Cup-Team. Immer eins nach dem anderen.

Legt Jörn, wenn auch nur für kurze Zeit, einmal das Racket aus der Hand, so trifft er sich am liebsten mit Freunden, unternimmt etwas mit seiner Freundin oder fährt mit dem Rennrad durch die Haseldorfer Marsch. Und Helge Schneider hat es ihm angetan: „Der Typ ist so witzig“, gerät er regelrecht ins Schwärmen.

Daß das Davis Cup-Halbfinale in Hamburg stattfindet, kommt Jörn sehr gelegen. Das Heimspiel gibt ihm Sicherheit. Seine Prognose für das Halbfinale: „Ein knapper Sieg ist drin. Ich tippe auf 3:2“. Und dann steht er auf, mit einem nicht mehr ganz so lässigen Lächeln zum Abschied, und verschwindet ebenso schnell, wie er gekommem ist.

Als ich das Hotel verlasse, packt mich eine Hand am Arm, und ein Reporter mit Kamera in der Hand fragt: „Sag mal, war das da eben der Karbacher?“ Eine Frage, die sich demnächst wahrscheinlich erübrigen dürfte.

Daniela Pfeiffer