Gregor Gysi, 46

war bis November 1989 nur Insidern bekannt: als Chef der DDR-Anwaltskammer, Verteidiger von Mördern, Prostituierten und Oppositionellen wie Havemann, Bahro und Bohley. Seit dem Wendeherbst gilt der kleine Ein-Meter-sechzig-Mann als der große politische Hoffnungsträger für DDR-Bedrückte und wurde, wie er sagt, „eher zufällig“ Vorsitzender der SED. Der Partei gab er einen anderen Namen: Partei des Demokratischen Sozialismus. Der Aufforderung einer Auflösung widersetzte er sich: „Man stiehlt sich nicht aus seiner Geschichte.“

Gysi, der keine Berührungsängste mit Konservativen hat, gründete im Juli 1992 mit dem ostdeutschen CDU-Politiker Peter-Michael Diestel die „Komitees für Gerechtigkeit“ – die populistische Protestbewegung erwies sich jedoch als Flop. Fälschlicherweise als Stasi-Spitzel denunziert, gebeutelt von Finanzskandalen der PDS, klagte Gysi immer wieder, die Politik trockne ihn geistig aus. Im Frühjahr '93 gab er den Parteivorsitz ab — nicht zuletzt, weil er die Stasi-Tätigkeit seines Vertreters André Brie verschwiegen hatte.

Gysi trat schon 1967 in die SED ein; der gelernte Rinderzüchter und promovierte Jurist hielt in seiner Dissertation „die Einschränkungen in der Meinungsfreiheit und die Allmacht der Sicherheitsorgane für notwendig“.

Gysi hat einen jüdisch-großbürgerlich-intellektuellen Hintergrund, viele seiner Verwandten wurden in KZs umgebracht. Sein Vater Klaus, in der Weimarer Reformschule „Odenwald“ erzogen, kämpfte illegal für die KP von 1940 bis 1945 in Berlin, wurde später DDR-Kultusminister und Staatssekretär für Kirchenfragen; die Familie seiner Mutter Irene läßt sich bis in die erste Adelsliste der russischen Zarenfamilie zurückverfolgen.

Gysi, alleinerziehender Vater mit einem Sohn, lebt in Berlin- Marzahn, wo er für die PDS 1990 ein Direktmandat gewonnen hat.