Punktsieg für Kiew

■ Die ukrainische Zentralgewalt liegt beim Machtkampf auf der Krim vorn

Warschau (taz) – Das ukrainische Parlament kann künftig die Kompetenzen des Parlaments der Autonomen Republik Krim einschränken, wenn dieses gegen die ukrainische Verfassung verstößt. Das geht aus einer Änderung der ukrainischen Verfassung hervor, die die Parlamentarier in Kiew am Mittwoch beschlossen. Hintergrund der Änderung sind Versuche des Krimparlaments, in den letzten Monaten staatliche Institutionen auf der Halbinsel einzurichten, die bisher der Zentralmacht vorbehalten waren. So planten die Krimpolitiker ein eigenes Innenministerium, einen eigenen Geheimdienst, eine Krimer Nationalbank und ein selbständiges Verfassungsgericht zu installieren.

Gerade letzteres hätte den Machtkampf, der Anfang des Monats zur Auflösung des Parlaments durch Präsident Meschkow führte, verhindern können. Nun stellt sich heraus, daß Kiew die Rolle des Mediators auf der mehrheitlich von Russen bewohnten Halbinsel übernommen hat und beide Seiten, Parlament und Präsident, letztlich von der Zentralmacht in Kiew abhängen. Meschkow hatte am 11. 9. Das Parlament rechtswidrig aufgelöst, nachdem dieses versucht hatte, seine Macht einzuschränken. Daraufhin hatte sich Meschkow mit Mitgliedern seines kleinen Geheimdienstes im Parlamente und die Parlamentsabgeordneten im Gebäude der Staatsanwaltschaft verschanzt. Da beide Seiten über keine nennenswerten bewaffneten Kräfte verfügen, entstand ein Patt, das dem ukrainischen Präsidenten Kutschma ermöglichte, den Vermittler und Schiedsrichter zu spielen. Sein Verteidigungsminister wies den Oberbefehlshaber der Schwarzmeerflotte an, Neutralität zu wahren, das Innenministerium erließ einen ähnlichen Befehl an die Krimer Sicherheitskräfte. Inzwischen gab der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats beim ukrainischen Präsidenten, Wolodimir Gorbulin zu, Rußland habe sich „recht loyal verhalten“. Blutvergießen wurde verhindert. Inzwischen kehrte das Parlament in sein Gebäude zurück und debattiert über Kutschmas „Nullösung“. Meschkow soll demnach die Parlamentsauflösung zurücknehmen und das Parlament dafür die Beschneidung seiner Befugnisse. Da die Parlamentsauflösung illegal war, lehnen die Abgeordneten eine solche Lösung bisher ab.

Die Krise hat dagegen zu einer Schwächung der separatistischen Kräfte geführt. Sowohl das prorussische Parlament als auch der separatistisch gesinnte Präsident der Halbinsel akzeptierten die Vermittlung einer ukrainischen parlamentarischen Sonderkomission. Ukrainische Bestrebungen, die Autonomie der Halbinsel zu beschneiden, bekamen Aufwind. Der Kiewer Parlamentspräsident und Sozialistenchef Oleksander Moroz erklärte, für ihn bestehe die Lösung der Krimprobleme darin, die Insel zu einer gewöhnlichen ukrainischen Region herabzustufen, und die oppositionelle Ruch- Bewegung forderte, Kutschma solle das Krimer Parlament auflösen, Meschkow entmachten und eine direkte Präsidialverwaltung einführen. Kutschma hat dagegen alles vermieden, was zu einer Verschärfung der Krise hätte führen können. Er konnte das, weil Moskau den Krimer Machtkampf als innere Angelegenheit der Ukraine ansah und nicht eingriff. Beigelegt ist die Krise damit noch nicht. Je länger sie dauert, desto wahrscheinlicher werden Neuwahlen von Parlament und Präsident, wie sie der Führer der relativ kleinen Kommunistischen Partei der Krim, Leonid Gratsch fordert: „Sonst“, so warnte er unlängst, „endet die ganze Sache doch noch mit Blutvergießen.“ Klaus Bachmann