Wand und Boden
: Gewitzte Spurensuche

■ Kunst in Berlin jetzt: Wirthmüller, Klier, Weyermann, Rahmann u.a.

Siebdruckarbeiten von Toni Wirthmüller in der Galerie Weißer Elefant: Der Rückenakt einer Modelschönheit ist technisch raffiniert zu Op-art-Mustern verwoben, die als Kontext das jeweils zentrale Bild im Bild rahmen. Es sind Pressefotos, schwarzweiß und im Kontrast stark reduziert: Ein weißer Söldner mit Handgranate am Gürtel; Kindersoldaten hinter einer Sandsackbarrikade; marschierende Gefangene, zusammengepferchte Menschen hinter Stacheldraht. Eine andere Werkgruppe besteht aus zweiteiligen Papierformaten. Die eine Hälfte ist individuell signiert mit Kreisen, Schwamm- und Fingerabdrücken, die andere zeigt Porträtköpfe. Modelgesicht und kahlgeschorener Skinschädel wechseln mit den Köpfen der monumentalen Thorak-Plastik „Kameradschaft“ und dem Brustbild eines KZ-Häftlings. Klar, daß man sich wunder was dabei denken sollte.

Hans-Peter Kliers Fotoarbeiten behaupten demgegenüber eigenwilligen Witz. Ihr Prinzip ist simpel. In Naturaufnahmen von Bäumen, Pilzen oder Felsgestein werden schablonierte Worte eingeblendet, jeder weiße Buchstabe im eigenen weißen Geviert. Beachtlich die Arbeit „Lebende Steine“: Hier werden krumm oder gerade in den Fels geschlagene Nägel in ihrer „Physiognomie“ wahrgenommen und mit entsprechenden Begriffen versehen. Der krumme Nagel mit „Fuß“, zwei parallel stehende mit „Tor“. Einem Nagel, dessen Kopf mit einem quadratischen Metallplättchen vergrößert ist, gönnt Klier das Wort „Held“.

Bis 30.9., Di-Fr 11-19, Sa 15-18 Uhr, Almstadtstraße 11, Mitte.

Die Dependance des botanischen Büros in Kreuzberg ist eine zauberhafte Ruine, ein Raum ohne Dach, gegliedert durch zwei parallele Reihen Eisensäulen und -träger. In diese Eisenkonstruktion hat Maja Weyermann 16 große Glaspanele integriert. Durch die rußgeschwärzten Glasscheiben dringen entlang dünnen Linienzeichnungen Spuren von Licht. Ansonsten reflektieren die Scheiben die Schachtelhalmbepflanzung eines niedrigen, rechteckigen Wasserbassins, in dem sie sich selbst wiederum spiegeln. Die meditative Installation nimmt zu diesen wenigen Struktur- und Orientierungsvorgaben selbstbewußt die offene Umgebung und deren Angebote, seien es Sonne oder bedeckter Himmel, Schatten, Geräusche oder Gerüche, in Dienst: Ein verführerisches Spiel der Projektionen, eigen, fremd, drinnen, draußen, Natur und Kunst, verortet, doch veränderlich, fließend.

Bis 9.10., Mi-So 14-18 Uhr, Waldemarstraße 40, Kreuzberg.

„Genügend Erde – Kieselsteine, Colorprints“ nennt Fritz Rahmann in der Zwinger Galerie seine Installation. Von Erde keine Spur. Die Kieselsteine sind in fünf Kartoffelnetze eingenäht und stammen aus dem Karwendelgebirge. Subtil nach ihrer Färbung geordnet, dunkler oder heller und auch bunt schimmern sie durch die Säcke. Die kleinen Farbfotos zeigen eine Hütte am Fundort, Details der Inneneinrichtung, der Holzverfugung der Außenwände, alte Bäume in ihrer Umgebung und den Blick auf den Felsengipfel. Rahmann, Mitbegründer von „Büro Berlin“, rekonstruiert mit dieser – trotz aller Kieselsteine – schwerelos erscheinenden, minimalistischen Einrichtung seinen Beitrag zur Ausstellung „Open Air“, die auf dem lokalpolitisch hochaufgeladenen Rembertikreisel in Bremen vor rund einem Jahr Skandal machte. Dabei verschwand Rahmanns Arbeit. Doch wie in der Ausstellung deutlich – manche Steine lassen sich gottlob eben nicht so leicht aus dem Weg räumen.

Die textliche, bildliche und objekthafte Dokumentation von Wolfgang Müllers wundersamer Reise mit der Meise ist im zweiten Galerieraum zu studieren. Wildgänse, denkwürdige Abenteuer, Elfen und Elfensteine gibt es in Island, aber keine Blaumeisen, englisch „Blue tits“. Verständlicherweise hat sich inzwischen auch Nan Goldin für das Projekt engagiert. Entsprechend ihrer Begabung für die Wahrnehmung des subkulturell Abgründigen hat sie die Meise gleich als Fetisch porträtiert, als Plüschvogel.

Bis 8. 10., Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Dresdener Straße 125, Kreuzberg.

„Bird watchers“, als ein Paar seiner bekannten bunten Männchen in die Reproduktion einer Landschaft von Renoir hineingemalt, kennt auch Emmett Williams, der in Berlin lebende amerikanische Fluxus-Künstler der ersten Generation. Doch das Zentrum seiner Ausstellung bei Rafael Vostell ist eine Serie von Objekt-Porträts seiner Fluxusfreunde Tinguely, Oldenburg, Beuys, Spoerri, Vostell, Rauschenberg, Cage und Kaprow. Gewitzte Spurensuche und Heldengedenken der vergnüglich-ironischen Art. In die Tafeln gleichen Formats, aber unterschiedlicher Grundfarbe, sind oben die 26 Buchstaben des Alphabets eingeschnitten. Die Buchstaben, die den Namen des Künstlers bilden, werden nach unten hin durch Objekte markiert. Sie sind natürlich auch mit den Arbeiten des jeweiligen Künstlers zu identifizieren oder seiner Biographie. So ist das T bei Tinguely durch ein Bild vertreten, das er selbst mit der Malmaschine Meta-Matic Nr. 12 hergestellt hat. Claes Oldenburgs letztes G repräsentiert ein Paar gigantischer Geleefrüchte, erotische Assoziationen gerne mitbedacht. Manche Rätsel werden aufgegeben und gelöst. Ein spanischer Tänzer in Spoerris Porträt verweist auf dessen erste Karriere als Ballettänzer. Das Abbild des englischen Dichters John Milton für das R von Robert Rauschenberg schlüsselt auf, daß Rauschenbergs Vorname Milton ist, erst in den späten 40er Jahren begann er sich Bob zu nennen, was schließlich zu Robert führte.

Bis 5. 11., Mo-Fr 15-19, Sa 11-14 Uhr, Niebuhrstr. 2, Charlottenburg. Brigitte Werneburg