Eine rechte Selbstbeschwörung

Ein neuerlicher kiloschwerer Band, der der Republik die Geburt einer „demokratischen Rechten“ verkündet / „Das Recht ist bei den Rechten, die Linke linkisch“  ■ Von Hauke Brunkhorst

„Ein geflickter Strumpf ist besser als ein zerrissener, nicht so das Selbstbewußtsein“, notierte in Jena der junge Hegel. Liest man die zahllosen Beiträge zu einer „deutschen Debatte“, die der Ullstein Verlag als „Manifest der deutschen konservativen Intelligenz“ angekündigt hatte, so bleibt doch eher der Eindruck des geflickten Strumpfes als der des versprochenen „Selbstbewußtseins der Nation“.

Der Dichter und seine Denker

Zu hoch ist der Anteil der Autoren aus dem Umfeld von Rainer Zitelmanns „Geistiger Welt“ (Die Welt). Das Unternehmen gleicht einer mühsamen demokratischen Runderneuerung des rechtsintellektuellen Ressentiments der zwanziger Jahre. Von der semantischen Leitlinie einer „demokratischen Rechten“ brechen nur wenige Autoren ins postdemokratische Zeitalter auf, auf dessen Stürme wir aber vorbereitet sein sollten – mit starkem Staat und wetterfestem „Gehäuse“ (Karlheinz Weissmann). Antidemokratische Affekte werden selten direkt, in der Regel als Medienkritik verpackt geäußert.

„Und bitte auch keinen Antisemitismus mehr!“ Diesen Wunsch Hartmut Langes versuchen die meisten Beiträger zu beherzigen. Lange ist der einzige, der sich von Botho Strauß, dessen „Anschwellender Bocksgesang“ den Band eröffnet, distanziert.

Den anderen gibt er die Linie vor, wird immer wieder zitiert und kommentiert und liefert den Teilen („Identität“, „Konflikt“, „Interesse“, „Widerstand“) jeweils ein Motto.

Was also ist neu? – Vergleicht man den Band mit den Stellungnahmen der Neokonservativen (Hermann Lübbe u.a.), deren „Krise“ zu überwinden die neue intellektuelle Rechte angetreten ist, so sind zwei Abweichungen signifikant. Da ist zunächst die semantische Rehabilitierung des politischen Begriffs der Rechten. Man ist bewußt rechts.

Das offensive Outing soll das angeschlagene Selbstwertgefühl der Nation heben, hat vor allem therapeutische Funktion. Und die funktionalistische Soziologie, wichtigstes Instrument der neokonservativen Ideologieplanung, ist durch das der planenden Vernunft entrückte, welterschließende Wort des Dichters abgelöst.

Hatte es seinerzeit mehr als hundert Jahre gedauert, bis Hölderlin, der „Dichter der Deutschen“ (Heidegger) in Martin Heidegger seinen Denker fand, so sind Dichter, Denker und – sicher ist sicher – der Ideologieplaner in hochbeschleunigter Zeit, in der Macht wesentlich Medienmacht ist (Roland Bubik) gleich in einem Band, der pünktlich zu Buchmesse und Bundestagswahl erscheint, vereint.

In Ernst Nolte hat Botho Strauß seinen Denker schon gefunden. Und Noltes Denken legt das Wesen der parlamentarischen Demokratie frei. Wesentlich ist ihr die Existenz einer „radikalen Linken“ neben der zur Mitte drängenden „gemäßigten“.

Die „radikale“ Linke gehört zum Wesen der Demokratie, nicht jedoch – und hier folgt Nolte subtil und sensibel der Semantik des jährlichen Verfassungsschutzberichtes – die „extreme“ Linke. Und was der Linken recht ist, kann der Rechten nur billig sein.

Folglich gilt: Keine gute Demokratie ohne „radikale Rechte“, wohl zu unterscheiden von der „extremen“ Rechten. Jede Reflexion auf die konkrete Geschichte ist damit beiseite geschoben, offenbarte dies doch, daß „rechts“ und „links“ nicht nur in Deutschland, wo wir immer noch besondere und die besten Gründe haben, der Rechten zu mißtrauen, sich nicht gleich ursprünglich zur Demokratie verhalten. Habermas hat solch geschichtsvergessenes Denken am Beispiel Heideggers treffend „Abstraktion durch Verwesentlichung“ genannt.

Ganz freilich scheint die neue Rechte der Kraft des Dichters nicht zu trauen. Um zu rechtem Selbstbewußtsein nation-wide zu gelangen, hat Rainer Zitelmann deshalb den Part des Welterschließungsplaners übernommen und die Parole ausgegeben: „Von Linken lernen!“ Bei seinem Beitrag drängt sich der Verdacht auf, Zitelmann, dem wir so etwas nicht unterstellen wollen, sei bei den Maoisten der 70er Jahre in die Schule gegangen.

Feminismus als stärkstes Feindbild

Zitelmann macht aus Dichtung („Das Recht ist bei der Rechten, die Linke linkisch“) und Denken („Die radikale Rechte gehört zum Wesen der Demokratie“) den Plan für die kommende Kampagne. Sie beginnt – etwas selbstmitleidig – mit der Pflege des Selbstwertgefühls, mit dem Übergang von der Defensive zur Offensive und zunächst mental und organisatorisch – mit der „geistigen Vorbereitung“ und der Schaffung eines „Netzwerks“ vieler Beziehungen.

Und die geistigen Vorbereitungen vereinen zwei Grundmotive, die für alle Autoren leitend sind. Da ist zunächst und immer wieder Auschwitz. „Welch schreckliche Verwirrung stiftet allein das Wort von den Tätern.“ (Brigitte Seebacher-Brandt). Um die nationale „Ehre“ wiederherzustellen, schreibt die einzige in dem Band vertretene Frau, gilt es zunächst und zuerst, das „Schuldgefühl“ und den „Selbsthaß“ loszuwerden. Seite um Seite wird zu diesem Zweck gegen das „Metaphysikverbot“ der linkshegemonialen Diskurspolizei, das die Bonner Republik beherrschte, vom Leder gezogen.

Der „totale rhetorisch-diskursive Vernichtungswille“ „nationalsuizider“ „PC-Kommmissare“ lasse „jegliche metaphysische Tiefen- und transzendentale Trennschärfe“ vermissen. Deren Fahne hielten nur noch die „nicht vollends verwüsteten Deutschen hoch, die das Berliner Pappschloß hochgezogen“ hätten (Ulrich Schacht). Aber „jede freie Denkbewegung“, die sich aufs Vergangene richte, werde, so Reinhart Maurer, durch die „Erwähnung des Namens ,Auschwitz‘ ... zum sofortigen Stillstand“ gebracht. Und so weiter im immer selben Rhythmus der „spirituellen Wende“ (Heimo Schwilk/ Ulrich Schacht).

Das zweite Leitmotiv des rechten Manifests ist dann der eigentliche Kern einer aggressiven Anti- PC-Kampagne: der Feminismus. Ihn identifizieren die Autoren als den inneren Feind, den wichtigsten Erben des linken Egalitarismus. Hier überschlägt sich die Stimme von rechts, wird laut und drohend. Der Dichter wird zum Agitator, der Denker wütend, nur der Ideologieplaner bleibt kühl.

Es wuchern die Männerphantasien, ganz so wie in den goldenen zwanziger Jahren der „Konservativen Revolution“ bei Oswald Spengler und Oswald Brüll, bei Wilhelm Stapel und Ernst Jünger, bei Carl Schmitt und Ernst von Salomon.

Allen Ernstes vergleicht sich ein „diffamierter und vielfach regelrecht verfolgter“ Mann mit den Opfern des dahingeschiedenen Apartheidregimes (Fritz Stern). Anders als bei den Neokonservativen der 70er Jahre ist die Ahnengalerie ganz auf Carl Schmitt, Martin Heidegger und immer wieder Arnold Gehlen zusammengeschrumpft.

Moderatere „konservative“ Denker wie Aristoteles und Hegel, die damals gerne zitiert wurden, sind abgetreten. Die Frontstellung heißt, immer noch und wieder aktuell: Nietzsche gegen Rousseau, und natürlich nicht mehr der Nietzsche Foucaults, eher der seiner unsäglichen Schwester.

Bliebe noch die Rückerinnerung für vergeßliche Postmoderne, daß uns das Links-rechts-Schema wohl noch eine Weile wird begleiten dürfen.

Heimo Schwilk, Ulrich Schacht (Hrsg.): „Die selbstbewußte Nation, ,Anschwellender Bocksgesang‘ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte“, Ullstein Verlag Berlin, 470 Seiten, 58 DM