Kein Volk von Rassisten?

■ SchweizerInnen stimmen über Anti-Rassismus-Gesetz ab

Berlin (taz) – Am Sonntag bekommt die Schweiz nochmals eine Chance zu zeigen, daß sie sich nicht vollständig auf ihren Inselstatus zurückziehen will: Das Volk stimmt über ein Gesetz gegen rassistische Propaganda ab. Der neue Strafrechtsartikel will nichts anderes als das, was in den übrigen europäischen Staaten schon längst Usus ist: ein Verbot rassistischer Propaganda. Diese Selbstverständlichkeit müsse nun auch in der Schweiz endlich verwirklicht werden, sagt Bundesrätin Ruth Dreifuß. Und Außenminister Flavio Cotti ließ sich bei einer Demonstration gegen Rassismus in Bern gar zum Ausruf hinreißen: „Wir sind doch kein Volk von Rassisten!“

Im Parlament war denn die Gesetzesvorlage auch weitgehend unumstritten. Sämtliche Parteien mit Ausnahme der nationalistischen „Schweizer Demokraten“, der „Freiheitlichen“ – vormals „Auto- Partei“ – und der „Lega dei Ticinesi“ stellten sich hinter die Vorlage. Vertreter des rechtsnationalen Lagers sahen sich daraufhin herausgefordert, das Volk gegen das neue Gesetz zu agitieren. Die verbreitete Angst der SchweizerInnen vor Überfremdung und der Unmut über das Zürcher Drogenelend sind da willkommene Propagandamittel, obwohl beides nichts mit dem neuen Strafgesetz zu tun hat. Der Bundesrat wolle mit diesem Gesetz, das sich an die UNO- Konvention von 1965 anschließt, durch die Hintertür den Vereinten Nationen beitreten, verbreiten die Gegner der Vorlage – angeführt vom Hallauer Unternehmer Emil Rahm und dem erzkonservativen Rechtskatholiken Herbert Meier. Außerdem sei durch den neuen Strafrechtsartikel die Meinungsfreiheit bedroht, ist von den Gesetzesgegnern zu hören. Es ist aber nicht so, daß sich Herr Schweizer in Zukunft nicht mehr über den Lärm der südländischen Nachbarn beschweren oder am Stammtisch über die ausländischen Drogendealer schimpfen darf. Auch kann Frau Schweizer sich weiterhin über die ungezogenen türkischen Kinder beklagen und behaupten, es gebe zu viele Ausländer im Land. Gegen das neue Gesetz vestoßen lediglich RednerInnen, die öffentlich gegen Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit hetzen. Strafbar macht sich auch, wer die Massenvernichtung der Juden bestreitet oder AusländerInnen als Menschen minderen Wertes bezeichnet. Nicht zuletzt soll endlich dem verbreiteten Handel mit Nazischriften ein Riegel vorgeschoben werden. Pamphlete wie der „Eidgenoss“ des Nazi- Ideologen Max Wahl, der in Deutschland verurteilt wurde, wären dann nicht mehr möglich.

Obwohl die Abstimmungsvorlage diesmal außergewöhnlich klar formuliert ist, scheint es den fremdenfeindlichen Agitatoren gelungen zu sein, große Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren. Einer Umfrage der Sonntagszeitung zufolge gaben zwar nur gerade acht Prozent an, sie würden gegen das neue Gesetz stimmen. Ganze 41 Prozent sagten aber, sie seien noch nicht schlüssig, ob sie ein „Ja“ oder „Nein“ in die Urne legen sollten. Ob sich dahinter auch all diejenigen verbergen, die nicht offen zu ihrer Ausländerfeindlichkeit stehen wollen, ist ungewiß. Falls aber die SchweizerInnen dem längst fälligen Gesetz nicht zustimmen, wird eine erneute Debatte über den Sinn und Unsinn der direkten Demokratie mit Sicherheit nicht ausbleiben.

Erst im Juni dieses Jahres lehnten die SchweizerInnen mit der erleichterten Einbürgerung von jungen AusländerInnen, dem Einsatz von UNO-Blauhelmen und der Kulturförderung gleich drei wichtige Vorlagen ab. Spätestens seit dem damaligen Abstimmungswochenende glauben viele, daß die kleine Alpenrepublik sich immer weiter in eine Außenseiterposition manövriert, weil sie sich zunehmend vom übrigen Europa abschotte. So war denn der Bundesrat nach der Schlappe vom Juni dermaßen verunsichert, daß er in Erwägung zog, die Abstimmung über das Anti-Rassismus-Gesetz zu verschieben. Karin Huser