„Wie viele haben sich denn da vertan?“

■ Die saarländische FDP-Basis kippt auf Druck der Parteispitze ihren Koalitionsbeschluß

Saarbrücken – Zum Schluß geht es bei den Liberalen zu wie bei den Grünen in ihren frühen Tagen. „Schiebung“-Rufe hallen durch den Saal, Delegierte stürmten in Truppstärke lautstark schimpfend zum Podium und der Tagungspräsident fordert ultimativ: „Wie viele haben sich denn vertan? Kann mal einer erklären, warum sie falsch abgestimmt haben?“ Die saarländischen Liberalen taten sich in der Nacht zum Freitag zunächst schwer, ihre wohl wichtigste Abstimmung seit Jahren sofort anzuerkennen. Doch das knappe Ergebnis wird schließlich auch von der Parteitagsregie akzeptiert: Mit 95 gegen 94 und einer ungültigen Stimme kippten die Delegierten des Sonderparteitages auch auf Druck der Bundespartei die vom Landesvorstand und einem kleinen Parteitag bereits beschlossene Koalitionsaussage zugunsten der SPD für die Landtagswahl, die zeitgleich mit der Bundestagswahl am 16. Oktober stattfindet. Damit ist der paradoxe Koalitions-„Doppelbeschluß“, zu einer gleichzeitig stattfindenden Wahl mit entgegengesetzten Koalitionsaussagen anzutreten – im Bund mit der CDU gegen „Schuldenmacher“ Lafontaine, im Land mit der SPD dieses „Schuldenmachers“ – vom Tisch.

Dabei hatte der Landesvorsitzende Harald Cronauer eine Stunde lang auf die Delegierten eingeredet, nicht eine gespaltene Koalitionsaussage, sondern ein Offenhalten dieser Frage verunsichere die Wähler. „Offenhalten wäre einfach, aber unfair und gefährlich“, weil 70 Prozent der WählerInnen eine Koalitionsaussage verlangten. Und weil eine Koalition mit der um die 30 Prozent gehandelten CDU keine Mehrheit brächte, müsse man eben mit der SPD koalieren, um liberale Inhalte „zu erzwingen“. „Jeder Stimmzettel für die FDP ein Denkzettel für Lafontaine“, empfahl er die Liberalen als Protestpartei.

Das sah die Basis und vor allem die Bundesspitze der Partei indes anders. Eilig hatte das FDP-Präsidium den Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff nach Saarbrücken geschickt, um doch noch einen Umschwung zu bewirken. „Politkommissar“, schimpfte ein Delegierter den Emissär. Er wisse, daß die Uhren im Saarland etwas anders gehen, hob der an, die saarländischen Liberalen wieder in die politische Echtzeit zu holen. Dennoch: „Das Präsidium hält ihren Beschluß einstimmig für falsch“, machte Lambsdorff die Meinung der Parteispitze deutlich. Das hatte Cronauer zuvor offenbar nicht getan. Im Landesvorstand hatte er lediglich mitgeteilt, die Bonner seien „nicht dafür“. Die „Bonner Überlegungen“ hätten eine untergeordnete Rolle in der saarländischen Entscheidungsfindung gespielt, gab er dann noch zu.

Lambsdorff sagte, eine Koalitionsaussage für die SPD könne der Fehler sein, der die FDP bundesweit zum Scheitern bringe. Es sei nicht möglich, diesen „Spagat“ außerhalb des Saarlandes zu vermitteln, weil die Medien und der politische Gegner ihn als Zeichen liberaler Wankelmütigkeit auslegen würden. Auch der Emissär rechnete nicht mit einem Umschwung. Er verließ den Parteitag nach verhaltenem Applaus noch vor der Abstimmung mit der Einschätzung, er habe nichts ausrichten können. Was jetzt komme, müsse als „Saar-spezifische Entscheidung“ verkauft werden, verabschiedete er sich. Thomas Krumenacker