Blitzkarriere mit Quereinstieg

Gesichter der Großstadt: Christine Bergmann, Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit und Frauen, ist im Schattenkabinett von Rudolf Scharping nominiert  ■ Von Kordula Doerfler

Als Rudolf Scharping sie Ende August als Ministerin für Bildung, Frauen und Jugend in sein Schattenkabinett bat, habe sie gezögert. „Ich mußte schon eine Weile überlegen, ob ich das wirklich mache“, sagt sie in ihrem modern und kühl eingerichteten Büro im Roten Rathaus. Daß dies mehr ist als die übliche Koketterie von PolitikerInnen, hat sie vor einem Jahr bewiesen. Damals verweigerte sie sich der Aufforderung, für den SPD-Bundesvorstand zu kandidieren.

Aber im übrigen, sagt sie dann selbstbewußt, könne sich das, was sie in der Berliner Landespolitik gemacht habe, doch durchaus sehen lassen. Kleine Zweifel bleiben aber: „Ich bin eigentlich so ein treuer Typ, ich mache immer gern die Sachen zu Ende, die ich angefangen habe. Das hat mir schon zu schaffen gemacht.“

Seit knapp vier Jahren ist die 55jährige Senatorin in der Großen Koalition und Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters. Im Senat gilt sie als „kompetent“, als eine, die zäh und fleißig für ihre Sache kämpft: mehr Gleichberechtigung für Frauen und eine Arbeitsmarktpolitik, die wenigstens die schlimmsten Härten der deutschen Einheit abfedert. Der Anfang, das gibt sie unumwunden zu, war hart. Im 15köpfigen Kabinett von Diepgen war sie eine von nur drei Frauen – alle von der SPD – und auch nur eine von drei Senatoren aus dem Ostteil der Stadt. Sie mußte nicht nur ein neu zusammengeschnittenes Ressort aufbauen, sondern auch monatelang kämpfen, bis ihre Verwaltung eigene Räume beziehen konnte.

Und Christine Bergmann war immer noch neu im Politgeschäft. „Ich bin eine Ausnahme, eine völlige Quereinsteigerin“, sagt sie noch heute. „Aber ich habe gelernt zu kämpfen und auch gelernt, Kompromisse zu schließen. Das kann in Bonn nur von Nutzen sein.“ Im Dezember 1989 trat die promovierte Pharmazeutin in die neugegründete DDR-SPD ein und wurde im Mai 1990 in die erste – und letzte – frei gewählte Stadtverordnetenversammlung von Ost- Berlin gewählt. Im neuen Ostberliner Stadtparlament galt sie als integer, politisch unbelastet und wurde mit großer Mehrheit aller Fraktionen zur „Vorsteherin“ gewählt. Schon vor dem Umbruch in der DDR war sie in der Friedensbewegung aktiv gewesen und hatte es geschafft, eine akademische Laufbahn einzuschlagen – ohne in die SED einzutreten.

„Irgend jemand mußte doch damals anfangen, politische Arbeit zu machen, wir waren ja alle Neulinge, jedenfalls in den neu gegründeten Parteien“, begründet sie ihre Motivation, in die Politik zu gehen. Auf der letzten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung war auch ein wenig Trauer in ihrer Rede zu hören: „Jetzt fängt die Arbeit doch erst richtig an.“ Das tat sie auch, nur anders, als sie es erwartet hatte – mit einer Blitzkarriere im Westen nämlich. Sie wurde als Vertreterin des linken Flügels in den Vorstand der vereinigten Berliner SPD gewählt und holte bei den ersten Gesamtberliner Wahlen am 2. Dezember 1990 in Hellersdorf ein Direktmandat für das Abgeordnetenhaus. Im Januar 1991 rief Diepgen sie in den Senat, und sie konnte sich sogar gegen Ingrid Stahmer als seine Stellvertreterin durchsetzen.

Auch heute noch, nach fünf Jahren in der Politik, unterscheidet sie sich vom durchschnittlichen Parteisoldaten westlicher Prägung. Wenn sie redet, dann ist das etwas geschliffener als damals, aber immer noch häufig durchsetzt mit Ähs und weit entfernt von den Schablonen westlicher Kollegen – aber auch weit entfernt von den Redesalven der Regine Hildebrandt. Öfter als ihr lieb ist, wird sie mit der rhetorischen Dampfwalze verglichen. Im Gegensatz zur brandenburgischen „Mutter Courage“ legt Christine Bergmann Wert auf ihr Äußeres, ist – auch im Berliner Senat eine Ausnahme – immer elegant gekleidet und trägt einen modischen Kurzhaarschnitt. Und obwohl die gebürtige Dresdnerin schon seit Jahrzehnten in Berlin lebt, sächselt sie stark und mit Vergnügen. „Ich sehe es immer noch als Vorteil, ein Quereinsteiger zu sein“, sagt sie, „das bewahrt die Distanz zu manchen Dingen.“

Das, gibt sie zu, ist manchmal schwer, mit durchschnittlichen 15-Stunden-Tagen und viel Hin- und-Herfliegen nach Bonn, wo sie oft an Bundesratssitzungen teilnehmen muß. Wenn die Rede auf Bonn kommt, wird Christine Bergmann eloquent, auch auf den ungezählten Wahlkampfveranstaltungen, die sie in diesen Tagen abends absolviert. In Bonn hat sich die Senatorin die größten Blessuren zugezogen, die größten Niederlagen einstecken müssen – gegen die CDU-geführten Länder. „Der größte Frust für mich ist, immer wieder erleben zu müssen, daß da nur parteipolitisch abgestimmt wird und nicht nach Sachfragen.“ Die Beispiele sind ungezählt, die Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes etwa, das Aushebeln des Kompromisses zum Paragraphen 218. Das kann sie einfach nicht begreifen, daß da wider bessere Vernunft abgestimmt wird, gegen alle Gesetze der Logik – und weit weg von den Problemen der deutschen Einheit.

Raumschiff Bonn? „Ja, davor habe ich schon ein wenig Angst, daß ich dann den Kontakt zu den Leuten vor Ort verliere.“ Das ist etwas, was ihr an der Landespolitik ganz wichtig ist, „unmittelbar mit den Folgen seines Tuns konfrontiert zu sein, mit den Leuten reden zu können – und zu müssen.“ Andererseits habe gerade die Bonner Erfahrung gezeigt, welch engen Grenzen Landespolitik oft unterliegt.

Stolz ist sie, wenn sie mit Pragmatismus auch zu Lösungen kommt, wie der Verabschiedung eines Landesgleichstellungsgesetzes für Berlin. Auch die kritische Berliner Frauenbewegung hat das teilweise anerkannt – ebenso wie die Tatsache, daß der Frauenanteil in ABM-Programmen in Berlin bei über 50 Prozent liegt. „Daß das nicht perfekt ist, weiß ich selber. Aber es ist doch besser als gar nichts, oder?“ Das hat sie lernen müssen in vier Jahren als Senatorin: daß 40 Prozent dessen, was man eigentlich will, in der Politik schon ein Erfolg sind.

Sie könne zugleich nur Politik machen, wenn sie auch ein Leitmotiv habe, an das sie glaube: mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Das sei vielleicht naiv und idealistisch, gibt sie zu. Und erfordert Rückgrat. Das zeigte sie während des Besuchs des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng im Juli. Ditmar Staffelt hatte aus Protest gegen das Hofieren seitens der CDU das Staatsbankett im Schloß Charlottenburg in letzter Minute abgesagt. Christine Bergmann als Bürgermeisterin konnte dem protokollarischen Zwang nicht so leicht entrinnen. Aber sie besaß als einzige den Mut, den Gast darauf hinzuweisen, daß jedes System zum Untergang verurteilt sei, das seine Kritiker ausgrenze und verurteile. Der, ohnehin schon düpiert durch ein paar unliebsame Demonstranten, verließ daraufhin zum Entsetzen der CDU den Saal.

Und wenn alles nichts wird? Oder das Ressort an einen möglichen Koalitionspartner geht? Würde sie auch unter einem Kanzler Kohl in einer Großen Koalition nach Bonn gehen? Auf Spekulationen will Christine Bergmann sich nicht einlassen. „Das wird man alles sehen nach der Wahl. Und außerdem gibt es auch in Berlin noch schrecklich viel zu tun.“