Der innere Schweinehund biß am „Wilden Eber“ zu

■ Über 16.000 Menschen rannten beim Marathon mit / Rollstuhlfahrer stellte Weltrekord in einer Stunde und 22 Minuten auf / Geringeres Zuschauerinteresse

In drei Wochen haben alle die Qual der Wahl. Gestern wählten 16.121 die Qual. Sie wollten die 42,195 Kilometer des 21. Berlin- Marathons bezwingen. Im Startbereich hing dann auch die Nervosität der Läufer neben dem Geruch der verschiedensten Muskelmittelchen förmlich in der Luft.

Viertel vor neun setzte sich an der Straße des 17. Juni die lange bunte Wurst auf Kommando des Regierenden Bürgermeisters, Eberhard Diepgen, in Bewegung. Wegen des Fernsehens mußte der Start eine Viertelstunde vorverlegt werden. Den Öffentlich-Rechtlichen schien der Tennis-Davis-Cup näher am Herzen zu liegen. Anstatt die zwei Tennis-Herren aus Rußland und der Bundesrepublik 15 Minuten später beginnen zu lassen, mußten die rund 16.000 Läufer früher aufstehen. Einigen wurde dies zum Verhängnis, obwohl die Zeitumstellung ihnen eine Stunde mehr Schlaf ermöglichte. Sie rannten dem großen Feld erst einmal hinterher.

Wie 3.381 andere Erst-Teilnehmer startete der SFB- Abendschau-Reporter Ulli Zelle zu seinem ersten Marathon. Am Potsdamer Platz fühlte er sich im hinteren Drittel der Masse noch ganz wohl. „Ich hab' mich nicht besonders gut vorbereiten können, aber dabeisein ist ja das Wichtigste“, sagte er – nur ein wenig aus der Puste. Besonders hat er sich über das Publikum vor der Techno-Disko „Tresor“ gefreut. Die hätten ihren Tanz-Marathon schon hinter sich, aber die Läufer gut angefeuert.

Etwas enttäuschend war dann auch die Menge des Publikums. Vor allem in Mitte, auf den ersten 11 Kilometern zwischen dem Brandenburger Tor und dem Alex, hatten die Veranstalter mit mehr Zuschauern gerechnet. Offensichtlich war die goldene Morgenstund' noch zu frisch. So zeigte sich manch verschlafene Gestalt im Pyjama an den offenen Fenstern.

Später stieg dann das Stimmungsbarometer. Schon traditionell stellten sich ganze Bands und Kapellen an die Strecke, um den Läufern Beine zu machen. Um Kilometer 16 in Kreuzberg stand ein ganzes Schulorchester mit geschätzten 100 Mitgliedern am Bordstein. Und am „Wilden Eber“ in Dahlem wurde wie jedes Jahr gefeiert. Bei Kilometer 35 ist Krach und Ablenkung für die Läufer sehr willkommen. Dort, wo die Strecke auch noch ansteigt, haben die meisten Läufer ihren Todpunkt – sprich: der Körper will nicht mehr, und der innere Schweinehund fängt an zu beißen.

Der Schweizer Heinz Frei war wieder der Allerschnellste unter den 228 Rollstuhlfahrern. Nach einer Stunde und 22 Minuten stand er als Weltmeister fest und brach den Weltrekord um 5 Minuten. Schnellster per pedes war der Portugiese Antonio Pinto, der nur 2:08:38 benötigte. Die schnellste Läuferin war Katrin Dörre-Heinig aus Deutschland, die Streckenrekord lief (2:25:15). Der Langsamste war Axel Kottowski mit satten 5 Stunden und 39 Minuten. Sven Christian