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Volle Buxen beim Davis-Flop

Tennis-Davis-Cup: Bereits nach dem samstägigen Doppel war Titelverteidiger Deutschland gegen die Russen ausgeschieden  ■ Aus Hamburg Clemens Gerlach

Am Sonnabend vormittag herrschte vor dem Tennisgelände am Hamburger Rothenbaum eilige Geschäftigkeit. Die FDP hatte einen Stand aufgebaut und versuchte, ihre Wahlbroschüren an die leistungswilligeren und besserverdienenden Besucher des Davis- Cup-Halbfinals gegen Rußland zu bringen. Vergeblich. Ungelesen landeten die Werbebotschaften im Staub oder flatterten von der warmen Septembersonne bestrahlt ziellos umher. Auch die Schwarzhändler waren nicht erfolgreicher. Trotz drastisch gesenkter Preise blieben die Spekulanten auf ihren Tickets sitzen. Nur wenige Zuschauer machten von dem Angebot Gebrauch, statt für die offiziell geforderten 180 Mark in der Sitzplatzkategorie 1 mit der Hälfte dabei zu sein. So verloren sich auf dem Center Court gerade einmal knapp 5.000 Menschen, an einem Ort, der ansonsten bei Tennis- Großveranstaltungen wie den German Open mit 10.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt ist.

Sie paßten sich dem mäßigen Niveau der deutschen Tennisspieler an: Von spontaner Begeisterung an allen Tagen kaum eine Spur, dafür gebetsmühlenartig immer wieder das Sozialdemokraten- bewährte Stakkato „Jetzt geht's los“. Andererseits hatte das Halbfinal-Duell kein anderes und auch nicht mehr Publikum verdient. Von Beginn stand das erste Davis- Cup-Spiel in Hamburg seit neun Jahren unter einem schlechten Stern. Oder waren es nicht doch eher Ärgernisse nach Hausmacherart, die ein Gelingen der Veranstaltung verhinderten? Erst der monatelange Streit, ob Boris Becker spielen würde oder nicht. Ein elendes Geschachere, in dem es nicht um sportliche Belange, sondern nur um viel Geld ging. Dann die obligatorischen Zweifel, wie denn wohl das Wetter sein würde. Im September draußen spielen? Auch noch in Hamburg? Eingedenk des berühmt-berüchtigten Schmuddelwetters in der Hansestadt war das Zögern nur zu verständlich. Und im nachhinein vollkommen überflüssig, denn das Wetter war an diesem Wochenende noch das kleinste Problem.

Schon eher die sportlichen Leistungen der deutschen Tenniskräcker, die vom russischen Team ihre Grenzen deutlich aufgezeigt bekamen. Erst verlor Debütant Bernd Karbacher gegen Jewgeni Kafelnikow in vier Sätzen (6:7, 1:6, 6:2 und 4:6), ein Punkt, den Teamchef Niki Pilic schon vorher abgeschrieben hatte. Aber daß auch Michael Stich anschließend gegen Alexander Wolkow vergrützen würde, war nicht eingeplant.

Der Weltranglisten-Zweite wirkte bei seinem 5:7, 6:1, 6:7 und 4:6 gegen den 40 Plätze schlechter eingestuften Russen gehemmt und ungewohnt fahrig. „Ich war mit meinen Gedanken woanders“, gab der fast 26jährige als Grund für seine Unkonzentriertheit an. Am Abend zuvor habe er von einem anonymen Telefonanrufer eine Morddrohung erhalten: „Der Mann drohte, mich und meine Frau zu erschießen.“ Von diesem Schock hatte sich Stich, der im Hamburger Vorort Pinneberg geboren wurde und dennoch nicht der heißgeliebte Lokalmatador ist, auch am Samstag nicht erholt. Zusammen mit Karsten Braasch mußte Stich gegen Kafelnikow und Andrei Olchowski mit 4:6, 6:7, 6:3, 7:6 und 8:10 die Segel streichen. Der Traum von der Titelverteidigung war aus. Rußland stand schon vor den beiden letzten, bedeutungslosen Einzeln im Finale.

Vor allem Karsten Braasch hatte in den entscheidenden Momenten Nerven gezeigt. Bei den drei eigenen Matchbällen im Schlußsatz „habe ich mir in die Buxen geschissen“, machte der 27jährige aus Marl keinen Hehl daraus, daß er die Hosen gestrichen voll hatte. „Da habe ich nicht sehr gut gespielt.“ Auch sein Partner war nicht eben selbstsicher gewesen, obwohl der anonyme Anrufer am Freitag – „wieder beim Abendessen“, präzisierte Braasch – Entwarnung gegeben hatte. „Das war nur ein Scherz. Es tut mir leid“, machte der Mann, der sich als enttäuschter Boris Becker-Fan geoutet hatte, einen Rückzieher.

Das kann man von Michael Stich nicht behaupten. Der nämlich zeigte in der anschließenden Pressekonferenz nach der Pleite im Davis-Flop jene Sekundärtugenden, die er zuvor bei der Fünf- Satz-Niederlage hatte vermissen lassen: Einsatz und Biß. „Ich habe mich hier nicht ausreichend geschützt gefühlt“, feuerte der tief Enttäuschte eine verbale Breitseite gegen den DTB-Prokuristen Christian Thiemann, der am Rothenbaum für die Sicherheit zuständig gewesen war. „Davon versteht der soviel wie ich vom Häkeln“, hämmerte Stich den zweiten Nagel ins Kreuz, um drohend zu verkünden: „Unter ihm spiele ich nie wieder für Deutschland.“

Eine in der ersten Erregung verständliche wie langfristig gesehen vermutlich folgenlose Ankündigung, denn zu sehr ist Stich auf den DTB angewiesen und dieser auf ihn – Millionen sind im Davis-Cup zu verdienen. „Wir werden miteinander in dieser Woche reden“, deutete DTB-Pressesprecher Jens- Peter Hecht an, daß die letzten Worte noch nicht gesprochen seien. So ist es halt unter Kooperationspartnern: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Deutschland - Rußland 1:4; Karbacher - Kafelnikow 6:7 (2:7), 1:6, 6:2, 4:6; Stich - Wolkow 5:7, 6:1, 6:7 (5:7), 4:6; Stich/Braasch - Kafelnikow/Olschowski 4:6, 6:7 (1:7), 6:3, 7:6 (7:3), 8:10; Stich - Kafelnikow 5:7, 3:6; Karbacher - Wolkow 6:4, 6:1; Schweden - USA 2:2; Edberg - Martin 2:6, 6:2, 4:6, 3:6; Larsson - Sampras 7:6 (7:3), 4:6, 2:6, 6:7 (3:7); Apell/ Björkman - Stark/Palmer 6:4, 6:4, 3:6, 6:2; Edberg - Sampras 6:3, Aufgabe Sampras

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