"Was die Grünen verlangen, ist mir egal"

■ Gerhard Schröder, Ministerpräsident in Niedersachsen und Superschattenminister der Sozialdemokraten, votiert einsilbig für Rot-Grün und steuert inhaltlich eine große Koalition an / Er will ein ...

taz: Gilt für Sie und für die SPD heute: Von Herbert Wehner lernen heißt Siegen lernen?

Gerhard Schröder: Bei dieser Troika, die ja nicht meine Erfindung ist, werden immer Erinnerungen wach. Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Willy Brandt, alle haben auf unterschiedliche Weise gewonnen. Aber Geschichte kann man nicht kopieren.

Immerhin schließen Sie gegenwärtig eine große Koalition im Bund nicht mehr aus.

Ich stimme mit Rudolf Scharping in vielen Punkten überein, vor allem aber in dem einen, daß man in Bonn Rot-Grün von der PDS toleriert nicht machen kann. Nicht, weil ich die PDS für ein so gefährliches Gebilde hielte, das man nicht erfolgreich bekämpfen kann, sondern weil es sich in dieser Konstellation nicht erfolgreich regieren läßt. Darüber hinaus bin ich nicht an Koalitionsdebatten interessiert, möchte nur sichergestellt wissen, daß die SPD nicht zuviel ausschließt. Die SPD muß sagen: Wir wollen gewinnen. Wenn es dann nicht für eine rot-grüne Konstellation reicht, für die ich immer noch bin, muß die SPD in der Lage sein, das Wahlergebnis zu bewerten und neu zu entscheiden. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, daß man eine große Koalition favorisiert.

Der Wähler könnte die SPD vor die Alternative: tolerierte Minderheitsregierung oder große Koalition, stellen.

Möglich ist vieles. Mein Petitum ist, daß die SPD-Führung sich Bewertungsmöglichkeiten offenhält, daß sie sich nicht durch Äußerungen vor der Wahl festfährt. Mehr Interesse an der Koalitionsdebatte habe ich nicht, mehr wird man mir nicht entlocken.

Werden Sie am Tisch sitzen, falls die SPD Koalitionsverhandlungen führen kann?

Bei Koalitionsverhandlungen werde ich dabeisein. Schließlich ist die Troika nicht nur eine Wahlkampfveranstaltung, auch wenn wir durch sie schon jetzt den Trend gegen die SPD haben umkehren können. Wie jetzt in der Troika wird Rudolf Scharping natürlich auch in den Verhandlungen unser Primus sein, aber wie es sich für eine anständige Troika gehört, der Primus inter pares.

Wer nicht gleich für die SPD dabei ist, wird später nie in Bonn dabeisein?

Das kann so sein oder auch nicht. Vier ganze Jahre kann man schwer vorausplanen. Ich habe mich bereit erklärt, ein Bonner Wirtschaftsressort zu übernehmen, das auch die Kompetenz für Energie und Verkehr erhält. Denkbar war für mich auch Forschung und Technologie als zusätzliches Handlungsfeld. Aber ein solches zusätzliches operatives Feld braucht man als Wirtschaftsminister, damit man Entwicklungen überhaupt steuern kann und am Ende nicht nur die Wirtschaftsberichte vorstellt. Im übrigen bin ich nicht auf Jobsuche. Wenn meine Bedingungen in Bonn nicht erfüllt werden, gilt: Es ist nicht unangenehm, in Niedersachsen mit absoluter Mehrheit zu regieren.

Was hätten Sie als Bonner Minister für Wirtschaft, Energie und Verkehr als erstes zu bieten?

Erstens müssen wir die Energieversorgung in Deutschland auf eine neue Grundlage stellen. Mein Papier zum Energiekonsens käme auf den Tisch. Zweitens braucht es einen Beschäftigungspakt zwischen den Tarifparteien, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Den muß die Politik organisieren, um endlich die Angebote von Gewerkschaftern wie Klaus Zwickel oder Hermann Rappe zu beantworten, die nicht nur über Lohn, sondern auch über Beschäftigungssicherung verhandeln wollen. Drittens müssen wir national und international eine offensivere Industriepolitik betreiben.

Energiekonsens heißt ja wohl: Schacht Konrad genehmigen, Auslaufzeiten für AKWs und Moratorium für Gorleben. „Energie-Nonsens“ titulieren das die Grünen, verlangen ein Ausstiegsgesetz.

Was die Grünen verlangen, ist mir ziemlich egal. Das ist deren und nicht meine Sache. Ich muß vorschlagen, was geht. Wir wären in den Konsensverhandlungen schon etwas weiter, wenn die Grünen diese Verhandlungen nicht fluchtartig verlassen hätten. Wir müssen nicht nur sagen, wo wir raus wollen, sondern auch auch, wo wir rein wollen. Der Aufbau einer neuen Energieversorgung braucht Zeit. Wer glaubt, er könne mit einem Gesetz die Rechtsposition der Energieversorgungsunternehmen außer Kraft setzen, sieht sich Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe ausgesetzt. Ich hätte es auch gern schneller, aber man braucht eben die von mir genannten Zeiträume.

Da kommen Sie dann auf AKW-Restlaufzeiten von bis zu vierzig Jahren.

Das hat keiner gesagt.

Stichwort Beschäftigungspakt. Da werden Sie dann in Kohl-Manier Teilzeitarbeit predigen...

Die Idee der Teilzeitarbeit, also flexibler auf den Arbeitsmarkt zu reagieren, ist richtig, kommt aber zwölf Jahre zu spät. Das hat die jetzige Bundesregierung verpennt. Sie hat auch die Auflockerung in den Gewerkschaften in dieser Frage verpennt. Jetzt müßte nicht nur über Teilzeitarbeit geredet, sondern es muß gehandelt werden. Außerdem haben wir wirtschaftspolitisch für Forschung und Entwicklung zu wenig getan, haben die Umwelttechnologie zu wenig gefördert, haben zu wenig zur Stabilisierung etwa der Automobilkonjunktur getan.

Die Grünen wollen ein regelrechtes Arbeitszeitgesetz, 30-Stunden-Woche durch Lohnkostenzuschüsse für niedrige Einkommen.

Die Grünen denken immer von oben, sind stark gouvernermental ausgerichtet. Die haben übersehen, daß vieles in diesem Bereich nur durch Tarifverträge geregelt werden kann. Nicht Gesetze, die die Gewerkschaften zwingen, sondern ein Beschäftigungspakt ist notwendig. Dies könnte man sicher gesetzlich begleiten, etwa vernünftigerweise durch Lohnkostenzuschüsse. Beim Beschäftigungspakt gilt es aber, vor allem die Subjekte der Wirtschaft zusammenzubringen. Der Staat hat dann die in solchen Gesprächen ausgehandelten Rahmenbedingungen zu organisieren. Die Grünen können nur in Gesetzen denken. Ich denke in Kooperation.

Unverbindliche Bonner Runden gibt es genug.

Verbindliche Runden – darum geht es. Da kann am Ende auch Gesetzgeberisches herauskommen.

Die Grünen streiten für Tempolimit und Erhöhung der Mineralölsteuer um 30 Pfennig pro Jahr.

Tempolimit ist mir zuviel Symbolik und zuwenig richtige Politik. Bei der Mineralölsteuer sind die Belastungsgrenzen erreicht. Jetzt muß die Situation der Automobilindustrie stabilisiert werden. Der Gedanke einer Ökologisierung des Steuersystems ist durchaus richtig. Aber in der Steuerpolitik sind nicht nur die ökologischen, sondern auch die ökonomischen und ebenfalls die sozialen Folgen zu berücksichtigen. Ein ziemlicher Schmarren ist deswegen eine Steuerpolitik, die Autofahren zum Privileg der oberen Hälfte der Einkommenbezieher macht. Wir haben zur Zeit keinen Spielraum für Steuererhöhungen, müssen eher herunter, damit Massenkaufkraft und Konsumgüternachfrage gestärkt werden.

In Niedersachsen läuft die Chefsache Wirtschaftspolitik unter dem Motto „Was gut ist für VW, ist gut für das Land“, für Bonn böte sich an: „Was gut ist für Daimler und Deutsche Bank, ist gut für die Republik“.

Ganz so ist es nicht. Was Niedersachsen angeht, haben Sie recht. Mehr als ein Drittel der niedersächsischen Industriearbeitsplätze hängt von VW ab, und auch mehr als die Hälfte unseres Exportes. Auf solche Größenordnungen hat man einfach Rücksicht zu nehmen. Das hat nichts mit Abhängigkeit, sondern etwas mit Vernunft zu tun. Darüber hinaus kommt es für jeden Bundeswirtschaftsminister darauf an, den deutschen Unternehmen, etwa auf den internationalen Märkten, Vorteile zu verschaffen. Richtigerweise gilt: Was gut ist für die deutsche Wirtschaft, ist auch gut für die Beschäftigten in der deutschen Wirtschaft. Daher habe ich nicht die geringsten Schwierigkeiten damit, national und international etwas für die Wirtschaft zu tun.

Das heißt doch kaum mehr, als auch in problematischen Ländern den Türöffner für die deutsche Wirtschaft zu spielen. Sie hatten ja auch eine Reise in den Iran geplant.

Aus Zeitgründen mußte ich diese Reise absagen. Natürlich muß ein Wirtschaftsminister auch Türöffner sein, wenn auch dies keineswegs allein. Die Amerikaner, die Japaner, die Franzosen kennen dieses Zusammenspiel zwischen Staat und Wirtschaft auf den Märkten der Welt. Wir müssen es kennenlernen.

Sie wollten ja auch schon mal U-Boote nach Taiwan verkaufen.

Deutsche Werften wollten die U-Boote verkaufen. Ich habe das damals nicht für falsch gehalten und halte es auch heute nicht für falsch.

Wenig Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Machen Sie sich bereits über Ihren Nachfolger als Ministerpräsident Gedanken?

Ich mache mir ständig Gedanken, auch darüber. Der eine oder die andere hat ja übersehen, daß ich SPD-Parteivorsitzender in Niedersachsen bin. Ich werde die Hüte, die in Hannover im Ring liegen, nach dem 16. Oktober sorgfältig prüfen und dann der Partei einen Entscheidungsvorschlag machen. Vorher keine Namen.

Wer erfüllt im jetzigen SPD- Triumvirat eigentlich die 40prozentige SPD-Frauenquote?

Wir drei müssen wohl alle zusammen stellvertretend diese Quote erfüllen. Im übrigen ist in dem Kabinett, das Rudolf Scharping vorgestellt hat, die Frauenquote übererfüllt. Bei uns dreien sehe ich keinen, den man als Vorzeigefrau durchlaufen lassen könnte. Interview: Jürgen Voges