„Wieder so ein Veteraninnentreffen“

Unter dem Motto „Krise der Arbeitsgesellschaft – Chance zu feministischer Reform“ trafen sich am Wochenende Hunderte Frauen in Berlin zum bündnisgrünen Bundesfrauenkongreß  ■ Von Sonja Schock

Berlin (taz) – Der wohl kühnste Vorschlag der Veranstaltung kam von Frigga Haug: „Jeder bekommt einen Vier-Stunden-Arbeitsplatz und muß zusätzlich täglich vier Stunden im reproduktiven Bereich arbeiten, das heißt Kinder, Alte oder die Natur pflegen, und auch diese Tätigkeiten müssen nachgewiesen werden“, lautete das neue Arbeitsmodell der marxistisch geschulten Dozentin der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik. Im Publikum und auf dem Podium löste es einiges Murren aus. Eine Nachweispflicht für Reproduktionsarbeit – das war den meisten dann doch zuviel der Kontrolle.

Die gerechtere Verteilung solcher „Scheißaufgaben“ (Waltraud Schoppe) wie Windelnwechseln und Bodenschrubben einerseits und der Erwerbsarbeit andererseits war eines der zentralen Themen der diesjährigen bündnisgrünen Bundesfrauenkonferenz. Ein Themenkomplex, beinahe so alt wie die Frauenbewegung selbst. Ihn mal wieder vom Mottenpulver zu befreien, das sei jetzt das Gebot der Stunde, lautete die einhellige Einschätzung einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Krise der Arbeitsgesellschaft – Chance zu feministischer Reform“.

„Jetzt geht es ans Eingemachte“

„Mutig eigentlich, daß der zweite Satz ohne Fragezeichen dasteht“, fand die Frankfurter Frauenforscherin Dörthe Jung. Doch auch sie sah in der derzeitigen Krise eine historische Chance, feministische Positionen zu befördern. „Die Zeit der Zuwächse und kompensatorischen Sozialmaßnahmen ist vorbei“, konstatierte die freie Journalistin Mechthild Jansen, „jetzt geht es ans Eingemachte, jetzt müssen wir die Strukturen verändern.“ Und Strukturveränderung heißt selbstverständlich – auch das ist nicht neu – Umverteilung: von Ressourcen und produktiver sowie reproduktiver Arbeit. Wie dies zu bewerkstelligen ist, damit beschäftigten sich am Wochenende einige hundert Frauen in zahlreichen Foren in der Berliner Kulturfabrik.

Die hochkarätigen Teilnehmerinnen der samstäglichen Podiumsdiskussion zogen erst einmal Bilanz – und die fiel für die bundesdeutsche Frauenbewegung nicht immer schmeichelhaft aus. So stellte etwa Jung fest: „Die Gesellschaft befindet sich im Wandel, und die Herren klinken sich in allen Zeitungen in die aktuellen Debatten ein – wir dagegen nicht!“ Das sei um so unverständlicher, als die frauenpolitische Infrastruktur mit all ihren Frauenbeauftragten und Vertreterinnen in Parteien und Gewerkschaften noch nie so gut gewesen sei wie heute.

Trotzdem habe sich die Frauenbewegung zu vielen Themen bisher nicht einmal ausreichend Gedanken gemacht. So habe sie sich weder damit auseinandergesetzt, was der Verlust der Utopie des Sozialismus für sie bedeute, noch hinterfrage sie, inwieweit sie selbst den Mythos von der Erwerbsarbeit als einzig wertvoller Arbeit verinnerlicht habe. „Wir haben noch immer zu keinem Modell gefunden, Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Produktion und Reproduktion gemeinsam zu denken“, hielt sie der eigenen Zunft vor.

Diesen fehlenden Willen, den eigenen Standort zu bestimmen und die eigenen Interessen zu definieren, macht Ulrike Diedrich vor allem in den neuen Bundesländern aus. Die ostdeutschen Frauen seien nur allzu bereit, alles zu schlucken, was ihnen vorgesetzt werde, berichtet die Psychologin aus Leipzig. Während einer Untersuchung über die Motivation von Umschülerinnen habe sie festgestellt, daß die Frauen gar nicht überlegt hätten, welche Arbeit ihnen Spaß machen könnte. Diedrich: „Die Frauen versuchen, über solche Maßnahmen ihr Selbstbewußtsein zu verbessern, ohne sich ihrer selbst zu vergewissern. Wenn aber kein Bezug zur Arbeit besteht, ist es naheliegend, sich notfalls aufs Private zurückzuziehen.“

Keinesfalls ein rein ostdeutsches Phänomen – so jedenfalls die Einschätzung von Jansen. Auch im Westen ließen sich viele Frauen immer wieder auf die Gemeinschaft verpflichten, statt die eigenen Interessen herauszufinden und zu verfolgen. Das habe dann zur Folge, daß die Frauen Schwierigkeiten hätten, klar und überzeugend zu handeln.

Keine guten Voraussetzungen für eine feministische Politikintervention, zumal angesichts einer mittlerweile zwar leidlich institutionalisierten, aber deutlich geschrumpften Bewegung. „Das ist heute wieder so ein Veteraninnentreffen“, stellte denn auch eine Frau aus dem Publikum fest, und Jung konstatierte den Verlust der erotischen Spannung in der Politik. Dies sei jedoch kein Grund, zu resignieren. Auch wenn die großen Massen nicht mehr zu mobilisieren seien, könne Politik gemacht werden. Machbar und sinnvoll seien heute Zweckbündnisse und Allianzen auch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen. „Es geht vor allem darum, Themen zu besetzen und zu verfolgen“, sagte Jung.

Daß es der besetzten Themen einige mehr sein könnten, bestätigte auch die ehemalige niedersächsische Frauenministerin Waltraud Schoppe: „Alle großen Debatten haben ohne uns stattgefunden“, geißelte sie die Bewegung, „das muß anders werden, wenn wir den Strukturen zu Leibe rücken wollen.“