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Tragische Sekunde

■ Peter B. verursachte den Tod eines Kollegen in der Klöckner-Walzanlage / Trotzdem Freispruch: „Unfall nicht vorherzusehen“

Friedhelm V. starb einen furchtbaren Tod. Der Arbeiter an der Warmwalzstraße II im Klöcknerwerk wurde am 3. November vergangenen Jahres von einer hydraulischen Metallschere erfaßt und zu Tode gequetscht: Der nach oben fahrende Schneidebalken der Maschine hatte ihn gegen die Andrückrolle gepreßt und ihm so schwere innere Verletzungen zugefügt, daß er daran starb. Bedient hatte die Maschine V–s Kollege Peter B. Der stand gestern als Angeklagter wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht.

Die ersten zwei Stunden des Prozesses vergehen damit, daß sich Richter, Verteidiger, Staatsanwalt und Nebenkläger in die hochkomplizierte Technik der Walzanlage einfragen müssen. Der Angeklagte ist dabei keine große Hilfe: Nur knapp und verschwommen klingen die Schilderungen seiner Arbeit, die er seit zehn Jahren macht und auch nach dem Unfall weiter ausübt. Den gesamten Prozeß verfolgt er ohne Anzeichen einer äußeren Regung. Soweit allerdings läßt sich der Hergang rekonstruieren: V. war mit dem Angeklagten an der Walzstraße beschäftigt, an der auch zwei große Schneidebalken angebracht sind. Mit den Scheren werden die Blechrollen zerschnitten, indem sich von oben und unten ein Messer an das Metall preßt. Nach dem Schneidevorgang fährt der Schneidebalken wieder etwa 50 Zentimeter nach oben, wo er an einem Auslegerbalken festgemacht wird, ehe das geschnittene Blech entnommen wird. V. kam zu Tode, als er sich über den gesenkten Schneidearm legte, von ihm hochgefahren wurde und an dem Ausleger eingequetscht wurde.

„Was hatte V. da überhaupt zu suchen?“ war eine zentrale, aber ungeklärte Frage des Prozesses. Und warum ist er in den zehn Sekunden, die er Zeit hatte, nicht von dem Arm runtergekommen? Auch darauf gab es keine Antwort. Nie und nimmer sei es vorher passiert, daß sich Arbeiter über den gesenkten Schneidearm gebeugt hätten, beteuern der Angeklagte und drei Klöckneraner, die als Zeugen auftreten. Der Sicherheitsbeauftragte, der Meister der Anlage und der Vorarbeiter erklären unisono: Der Arbeiter hatte da nichts verloren. Hat er versucht, das Blech vorher schon rauszuziehen, um schneller zu arbeiten? „Das wäre ein Riesenkraftakt und kaum machbar“, sagt der Vorarbeiter. Auch auf mehrfaches und ausdauerndes Nachbohren des Richters Ulrich Hoffmann bleiben die Zeugen unabhängig voneinander bei ihren Aussagen: „Es gibt wirklich keinen Grund, sowas ist noch nie passiert.“ Alle Gefährdungsanalysen für die Anlage gingen davon aus, die Arbeiter vor dem runter- und nicht dem hochfahrenden Schneidebalken zu schützen. „An so etwas hat nie jemand im Traum gedacht“, meint der Sicherheitsfachmann.

Warum V. in die Maschine gekrabbelt ist, läßt sich nicht klären. Viel wichtiger für den Prozeß ist die Frage, ob Peter B., der die Maschine bediente, den Unfall hätte verhindern können. Denn während sich das Messer auf das Blech senkte, hatte der alles im Griff. Als das Messer unten war, drehte er sich allerdings kurz um, nahm den Finger vom Bedienungsknopf und ließ damit den Arm langsam wieder hochfahren. Als er sich in der lärmenden Halle wieder zur Maschine zurückdrehte, hing sein Kollege bereits in der Schere. Eine „tragische Sekunde“ habe er nicht aufgepaßt und damit den Tod seines Kollegen verschuldet, warf ihm die Anklage vor.

Objektive Fahrlässigkeit nannte das Gericht in seinem Urteil dann das Verhalten des B. und sprach ihn dennoch frei. Denn für eine Veruteilung muß der subjektive Aspekt kommen: Hätte B. erwarten können, daß V. in der Maschine liegen würde? Jedenfalls hätte er die gefährliche Maschine nie aus den Augen lassen dürfen, meint die Anklage. Dem aber folgte das Gericht nicht: V. habe sich selbst gefährdet, weil er „kraß dem zuwidergehandelt hat, was ihm aufgetragen war“, der Angeklagte habe mit diesem völlig abnormalen Verhalten nicht rechnen können. Der juristische Vorwurf einer fahrlässigen Tötung könne ihm also nicht gemacht werden, meinte der Richter in der Urteilsbegründung. Der von ihm verursachte Tod seines Kollegen sei allerdings eine seelische Belastung, an der Peter B. sein ganzes Leben lang tragen werde. bpo

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