Saubere Haare

Hat MTV eine Molekularstruktur? Douglas Coupland weiß auch in seinem zweiten Roman keine richtige Antwort  ■ Von Anke Westphal

Die Welt muß in Schach gehalten werden. Geld, Heirat, Computer, Fernsehen, Spaß, Mode, Diät, der Präsident, Fernsehen, Gewehre und Recycling umgaukeln den jugendlichen Bewohner des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts wie Satelliten einen Fixstern, dessen Bedeutung im interplanetarischen System der Werte- Elemente allmählich zu verschwinden droht.

Tyler Johnson, Held von Douglas Couplands zweitem und „erstem richtigen“ Roman „Shampoo Planet“, bekämpft die Bedrohung durch das Leben mit Haarpflege. „Glanz, Halt und Selbstvertrauen. Dein Haar – das bist du ... Aber abgesehen davon: sauberes Haar, sauberer Körper, sauberer Geist, sauberes Leben. Du könntest von einem Moment auf den anderen berühmt werden, und deine ganze Persönlichkeit könnte zutage treten. Und was fände man dann wohl vor? Dreh die Dusche auf.“

Der 20 Jahre alte Tyler ist ein Kind der neuen Zeit, der „guten Telefonverbindungen, vernünftigen Einkaufszentren und hohen Erwartungen“. Das zugehörige Gruppen-Label ist längst for sale: „Generation Y“. Diese Nicht- mehr-Teens und Noch-nicht- Twens wollen – wegen der guten Renten – bei genau den unkorrekten Firmen arbeiten, auf die ihre Eltern noch Brandanschläge verübten.

Eine Jugend mit klarem Ziel vor Augen: den eigenen Marktwert steigern, während das Environment – wie Tylers sterbende Heimatstadt Lancaster – in den letzten Zügen liegt. Kids wie Tyler halten „eine glitzernde, aufregende Zukunft“ wieder für möglich. Das Logo Zukunft gleißt wie eine potente Droge – „eine glänzende schwarze Nadel, ein Versprechen“, das Leben selbst wiederum ähnelt eher dem „Hochseefischen“: Mal ist ein Fisch im Netz, mal nicht.

In der Vergangenheit der Hippie-Eltern

Tyler weiß dennoch, was er vom Leben erwartet – er hat Ehrgeiz. Es ist der Ehrgeiz der geraden, sicheren Bahn. Dabei kann sich Generation Y, wie schon die Generation X zuvor, nicht so richtig zwischen eigener geschichtlicher Erfahrung und Mysterium entscheiden und schmarotzt deswegen in der Vergangenheit der Hippie-Eltern herum. „Wie ist das, wenn man demonstriert?“ Tyler wohnt so lange wie möglich zu Hause, um Geld zu sparen. Er ist cool, er gehört zu denen, die mit allem fertig werden, denn er „versucht, keine Kraft mit Erwägungen zu vergeuden“. Er studiert Hotel/Motel-Management, und schon mit elf wünschte er sich einen Dokumentenreißwolf zum Geburtstag. Sein Auto nennt er „Comfortmobile“, sein immer aufgeräumtes schwarzgraues Zimmer „Modernarium“.

Mit Tyler beschreibt Coupland die Projektion einer Rückkehr der Zukunft als schöner, neuer Welt unter Umständen, die halt nicht so sind. Tyler und seinesgleichen verrichten, wie schon Andrew, Dag und Claire in „Generation X“, McJobs an der Hähnchen-Fritteuse von „Wing World“. Sie begegnen nicht den Stars, sondern deren Doubles. Und irgendwie verhält es sich mit ihrem ganzen Leben so: Der Realität wird das Versprechen auf Zukunft eher abgeschwatzt, als daß sie tatsächlich eines geben würde.

Microsoft und Comics: Versionen des Lebens

„Simulate Yourself“, hieß es im Glossar von „Generation X“. Die einzigen Ängste der Tylers, Daisys und Murrays sind die vor der Armut und davor, den eigenen Selbstrettungsversuch nicht mehr zu glauben. „Du bist außerstande, dir dich in der Zukunft vorzustellen“, steht auf der „Liste tragischer Charakterschwächen“, die Tyler auf seine letzten Dollarnoten kritzelt. Die Renaissance der Familie, lädiert, ohne ständig anwesende biologische oder andere Väter, der Alltag mit Microsoft, Prozac und MTV lösen zwar nur eine künstliche Comic-Version von Leben ein, geben der bedrohlichen Sinnfrage aber Struktur, wenn auch eine reichlich enge.

Banalen Alltagsritualen wird der symbolische Sinn, das „Globale“ untergeschoben. „Global“ bedeutet „in Flugzeugen sitzen, mit Maschinen reden, kleine geometrische Mahlzeiten zu mir nehmen und meine Wählerstimme per Telefon abgeben“. Tyler, zwar glatt, aber keine hirnlose Dumpfbacke, kommt letztlich nicht so richtig an in seiner zurechtgelegten Biographie: „Welche Geheimnisse habe ich in den vergangenen Monaten gegen andere Geheimnisse eingetauscht? Welche Liebenswürdigkeit gegen Korruption? Licht gegen Dunkelheit? Lügen gegen Wahrheiten? Neugierden befriedigt, um mir dafür Ängste einzuhandeln? Insgesamt komme ich auf einen klaren Verlust.“

Es ist ein Verlust am Kapital Jugend. Zuletzt bricht dann doch die Natur in Tylers High-Tech-Welt ein. Die Decke zwischen dem Apartment seiner Freundin Anna- Louise und der Wohnung des „Manns mit den 100 Haustieren“ bricht ein, kleine Kätzchen, rosa Vögel, Cockerspaniel und Karpfen lümmeln sich auf Stereoanlage und Sportutensilien. „Wach auf – die Welt ist lebendig“, stellt Tyler auf der letzten Buchseite fest. Aber das wußten wir schon.

Und diesen Dualismus von biederen Futurismen und sinnträchtig romantisierter Ursprünglichkeit kannten wir auch schon. Am Ende von „Generation X“ verzauberte die Vision eines kokainweißen Reihers auf einem verkohlten Feld. Jetzt zitiert sich der seit kurzem in Dänemark lebende Coupland selbst, in den Ideen wie den Bildern, in seinem zweiten Buch passiert die meiste Zeit rein gar nichts Bedeutsames, wenn Tyler Johnson auch Shampoos, Freundinnen, Jobs und Wohnorte wechselt.

So eine laszive Ruhe kann durchaus spannend sein; „Generation X“ hat das bewiesen. In „Shampoo Planet“ jedoch bewegen sich Schablonen in Schablonen, ein einziges zugespitztes Klischee, eine Simulation der Simulation, die Coupland der Gegenwart abgeguckt haben will. Wenn man sich umsieht, findet man sie nicht ganz daneben. Aber sie genügt eben doch nicht mehr.

Douglas Coupland: „Shampoo Planet“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Harald Riemann, Aufbau Verlag, 299 Seiten, geb.,

36 DM