Palästinenser zur Einigkeit überreden

PLO-Chef Arafat will die Islamistenbewegung Hamas „auf Kurs“ bringen / Deren Führer debattieren, ob sie sich an Wahlen zur palästinensischen Selbstverwaltung beteiligen sollen  ■ Von Kirsten Maas

Berlin (taz) – Jassir Arafat versucht die Annäherung an seine palästinensischen Todfeinde: Am vergangenen Donnerstag traf sich der PLO-Vorsitzende und Chef der palästinensischen Selbstverwaltung in Gaza erstmals offiziell mit Führern der Islamistenbewegung Hamas. Anschließend ordnete er die Freilassung von drei Hamas-Anhängern an, die Arafats palästinensische Polizei nach einer Schießerei festgenommen hatte. Einen Tag später gesellte sich Arafat demonstrativ zu den Betenden in einer von Hamas kontrollierten Moschee in Gaza. Und am Sonntag dementierte er Berichte israelischer Medien, ein am gleichen Tag verübter Anschlag auf einen Siedler ginge auf das Konto von Hamas.

Kurz bevor sich Arafat an der Grenze zwischen Israel und dem Gaza-Streifen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin traf, hatte ein Palästinenser mit einem Messer auf den Israeli eingestochen und ihn lebensgefährlich verletzt. Israelische Soldaten erschossen den Angreifer, woraufhin der Rundfunk des Landes berichtete, der Palästinenser habe Hamas-Flugblätter bei sich getragen. Arafat sagte auf einer Pressekonferenz mit Rabin, die Islamistenorganisation habe sich ihm gegenüber von dem Attentat distanziert. Der PLO-Chef hatte einen Dialog mit Hamas bereits vor zwei Wochen zur „politischen Option“ erklärt, die dazu beitragen solle, die Islamisten „auf Kurs“ bringen.

Der nunmehr seit einem knappen Vierteljahr in Gaza residierende Arafat kann sich nicht der Tatsache verschließen, daß dort mehr PalästinenserInnen mit Hamas sympathisieren als mit seiner Organisation, der Fatah. Will Arafat als oberster Palästinenser überleben, muß er sich mit den Islamisten arrangieren. Allerdings sind Kontakte zwischen Arafats Getreuen und Hamas nichts völlig Neues: Seit 1990 sah sich die PLO gezwungen, Gespräche mit den Islamisten aufzunehmen, weil diese sich im Verlauf des Palästinenseraufstandes – der Intifada – zu einer bedeutenden politischen Kraft entwickelt hatten. Angesichts der näherrückenden Wahlen für die palästinensische Selbstverwaltung tritt der Dialog jetzt in eine entscheidende Phase.

Politische Posten für Hamas reserviert

Die palästinensische Autonomieverwaltung sieht vor, daß die BewohnerInnen der besetzten Gebiete im November eine Art palästinensisches Parlament wählen. Sollte Hamas dafür Kandidaten aufstellen, werden diese mit hoher Wahrscheinlichkeit eine starke Fraktion bilden. Die PLO strebt deshalb danach, die Islamisten in die Institutionen der Selbstverwaltung einzubeziehen, sie zu einer kontrollierbareren Opposition zu machen und ihnen den „Stachel“ des militärischen Widerstands zu ziehen. Im vorgesehenen 13köpfigen palästinensischen „Ministerrat“ sind zwei Posten für Hamas reserviert.

Auch in der Spitze von Hamas gibt es Leute, die sich politische Vorteile von einer Beteiligung an der palästinensischen Autonomie versprechen. Zwar bezeichnen Flugblätter von Hamas die PLO- Führung noch als „Spielzeug in den Händen der verbrecherischen Besatzung“, auf den höheren Ebenen der Bewegung wird aber auch diskutiert, ob und wie man sich mit der PLO arrangieren und an den Wahlen beteiligen sollte.

Bassam Jarrar ist Dozent an einem Lehrer-Kolleg in der Westbankstadt Ramallah und einer jener 415 Palästinenser, die im Dezember 1992 in den Südlibanon deportiert wurden. Er sagte in einem Interview, daß die Islamisten sich lediglich an den Stadtverwaltungen und Verbänden wie Ärztekammern oder Rechtsanwaltsvereinigungen beteiligen würden – vorausgesetzt, die Wahlen dazu verliefen demokratisch. Der Grund für die beschränkte Teilnahme: „Die Islamisten haben kein Interesse daran, die palästinensischen Autoritäten zu bekämpfen, wohl aber am Kampf gegen die israelische Besatzung. Eine Beteiligung an der Selbstverwaltung würde dem Friedensprozeß Legitimation verleihen.“ Andere Mitglieder der Führungsriege von Hamas fürchten dagegen um ihren politischen Einfluß, wenn sie die Wahlen boykottieren. Bereits im Frühjahr ließen Hamas-Aktivisten verlauten, die Bewegung sei bereit, sich als „Islamische Partei“ neu zu konstituieren. Der Kampf gegen die Besatzung sei nicht allein durch den bewaffneten Widerstand, sondern auch mit Worten und durch die Einigung des Volkes zu führen.

Die arabische Zeitung al-Hayat zitierte kürzlich einen Führer der Bewegung mit den Worten: „Hamas wird sich an den Wahlen zu einem palästinensischen Parlament beteiligen.“ Und Ismail Hania, Islamist und Dozent an der Islamischen Universität von Gaza, erklärte in den vergangenen Tagen: „Wir benötigen Signale der PLO- Führung, daß sie bereit ist, mit allen zu reden, die sich für ein Mitwirken am Aufbau des palästinensischen Staates entscheiden.“