Die Angst vor der eigenen Courage

■ Japans Regierung fordert heute einen Sitz im UN-Sicherheitsrat – und will eigentlich gar nicht rein

Tokio (taz) – Mit einer Rede vor der UNO-Generalversammlung will heute der japanische Außenminister Yohei Kono den Anspruch Tokios auf einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat verkünden. Das ist alles andere als selbstverständlich: Noch vor einem Jahr hatte es der damalige Premierminister Morihiro Hosokawa ausdrücklich abgelehnt, Japans Mitgliedschaft im höchsten UN-Gremium einzufordern. Seither wurde in Japan um den Sicherheitsratsbeitritt heftig gestritten. Bis vor kurzem gehörte auch der amtierende Premier zu den Zauderern. Der Sozialdemokrat Tomiichi Murayama hatte nämlich angeraten, daß zunächst ein Konsens in der Öffentlichkeit gesucht werden solle, bevor Japan in der Sache international aktiv werde. Doch davon kann inzwischen keine Rede mehr sein: Geeint sind heute allenfalls die politischen Parteien, die sich vom Sitz im Sicherheitsrat weniger eine neue außenpolitische Macht als vielmehr Prestigegewinn für die allzuhäufig als drittklassig abgeurteilte politische Klasse des Landes erhoffen. Die öffentliche Meinung bleibt gespalten. Japans Aufnahme wäre „schlecht für die Vereinten Nationen“, argumentiert der Philosoph Shuichi Kato, weil das Land der amerikanischen Dominanz im Sicherheitsrat nichts entgegenzusetzen hätte. Tatsächlich hat Tokio in der Vergangenheit gelegentlich andere außenpolitische Positionen als die USA vertreten: So bei der Menschenrechtsfrage in Asien, hinsichtlich einer gemäßigteren Nordkorea-Politik oder der Einbeziehung der Roten Khmer in den kambodschanischen Friedensprozeß – doch verlieh Japan seiner abweichenden Haltung kaum öffentlichen Nachdruck. Tatsächlich wissen nicht einmal die außenpolitischen Experten in Tokio, wie Japan vom denkbaren Machtzuwachs in der UN überhaupt Gebrauch machen soll. Die Rede ist dann vom verstärkten japanischen Engagement in der Entwicklungshilfe und für den Umweltschutz – Felder, auf denen der Sicherheitsrat kaum tätig wird.

So hat denn die Aufnahme ins höchste UN-Gremium für die japanischen Befürworter vor allem eine innenpolitische Bedeutung: Sie soll auf lange Sicht eine Verfassungsänderung herbeiführen, die Japan erlauben würde, sich an militärischen Einsätzen im Ausland zu beteiligen. Bisher steht in der Verfassung ein klarer Gewaltvorbehalt. Japan kann sich auch an Blauhelmaktionen der UNO nur beteiligen, wenn keine Kriegsgefahr im Verzuge ist.

Da die Japaner von sich aus kaum gewillt erscheinen, diese Einschränkungen auszuräumen, soll dies nun auf dem Umweg von gaiatsu gelingen, einem herbeigewünschten „ausländischen Druck“ zur Beteiligung an internationalen Militärmissionen, der angeblich entstünde, wenn Japan Mitglied im Sicherheitsrat wäre.

Wer von den Delegierten der UNO-Generalversammlung versucht, solche Überlegungen nachzuvollziehen, wird dem japanischen Regierungspolitiker Shusei Tanaka recht geben: „Japan wird niemals zu den Topstaaten der internationalen Gemeinschaft zählen“, meint Tanaka. „Unser Land sollte nicht in den Bus steigen, ohne zu wissen, wohin es fahren will.“ Georg Blume