Zwischen Scharlatanerie und rigoroser Schröpfung

■ Mit ihrem Haushaltsentwurf 1995, der noch in dieser Woche laut Gesetz verabschiedet werden muß, versucht die italienische Regierung verzweifelt, den Eindruck von Seriosität zu erwecken

Rom (taz) – Vom hochnoblen Fünf-Sterne-Hotel Quisisana (wörtlich „Hier gesundet man“) auf Capri gab Luigi Abete, Präsident des italienischen Industriellenverbandes, das Glaubensbekenntnis vor: „Wenn es dieser Regierung gelingen sollte, die Rentenreform so unter Dach und Fach zu bringen, daß sie nicht wie bisher alle zwei Jahre als neues Problem entdeckt wird, und wenn sie die Privatisierungen in der vorgesehenen Geschwindigkeit erledigt, dann liegt das Schwierigste hinter uns.“ Die versammelten Jungunternehmer, die am vorletzten Septembersonntag traditionell ihr großes Meeting abhalten, quittierten die Prophezeiung mit verhaltenem Applaus – zu sehr sah ihnen das Ganze nach Gesundbeten aus. „Unsere Computer jedenfalls sagen uns derzeit noch ganz anderes“, murrte einer am feinen Buffet im Tiefparterre des Hotels.

Dabei hatte Abete den Zeitpunkt mit großem Bedacht gewählt. Im Laufe dieser Woche muß laut Gesetz der Haushalt 1995 verabschiedet werden, Berlusconi und seine Bilanz- und Finanzminister stecken noch bis über die Ohren in ungelösten Problemen. Abete selbst kam gerade von einer Art Supergipfel: Fiat-Patriarch Gianni Agnelli hatte die Oberbosse der großen Familienunternehmen zu sich nach Hause eingeladen und dazu auch den seit jeher als Parvenü verachteten Silvio Berlusconi dazugeladen – „mehr in seiner Eigenschaft als Unternehmer denn als Regierungschef“, wie ein Fiat-Sprecher vermittelte.

Als „Unternehmer“ mußte sich der Ministerpräsident dann beim Abendessen von den De Benedettis, Pirellis, Rivas anhören, welch große Sorge die italienischen Wirtschaftsgewaltigen umtreibt. In klarem Gegensatz zu dem, was die Regierungskoalition dem Volk vor der Wahl vorgegaukelt hatte, geht die Arbeitslosigkeit im Lande trotz allseits verheißenen Booms nicht zurück. Um fast zwei Prozent ist sie im Industriesektor gestiegen, um vier im Handwerksbereich. Nur im öffentlichen Dienst sind mehr Personen beschäftigt als noch vor einem Jahr – „und da wissen wir ja auch, woher das kommt“, hatte Agnelli tadelnd vermerkt. Es ist die Folge der rapiden Einstellung getreuer Kombattanten durch die Regierungsparteien. „Das erhöht natürlich auf der einen Seite wieder die Staatsausgaben, andererseits blockiert es Privatisierungen“, so Olivetti-Chef De Benedetti. Da viele der Parteigünstlinge in Staatsfirmen beschäftigt werden, würde für sie die Überführung der Betriebe in Privateigentum die Gefahr der Entlassung mit sich bringen. Und das können die neuen Herrscher sich derzeit nicht leisten. Tatsächlich stagniert die programmierte Privatisierung seit Berlusconis Amtsantritt total.

So konnten die Industriellen Berlusconi nur empfehlen, wenigstens die Rentenreform voranzubringen. Kaum ein anderes Land leistet sich mehr als zwei Millionen Frührentner, die schon mit 40, 45 Jahren in den Ruhestand gehen und danach eine neue Arbeitskarriere beginnen – das bisher geltende Gesetz erlaubt, von Branche zu Branche verschieden, nach zehn bis fünfzehn Jahren Beitragszahlungen in die Rentenkassen die Arbeit aufzugeben und sofort die zustehende Zahlungen in Empfang zu nehmen. Derlei „Babyrenten“ soll es künftig nicht mehr geben. Doch noch haben mehr als fünf Millionen Beitragszahler ein erworbenes Recht darauf. Der Versuch, ihnen das wegzunehmen und den Beginn der Rentenzahlungen aufs 65. oder 60. Lebensjahr zu verlegen, scheiterte am Einspruch des Staatspräsidenten. So versucht sich Berlusconi nun nach altbewährter Weise an den älteren Empfängern kleinerer Renten. Denen soll die Anpassung an die Inflation weggenommen oder jedenfalls verschoben werden. Für Menschen, die mit umgerechnet etwa 800 Mark im Monat auskommen müssen, eine Katastrophe.

Die Gewerkschaften drohen mit Generalstreik, und so basteln Berlusconis Berater derzeit zwangsweise auch noch an Kompromißmodellen. Wer etwa seine Rente vorzeitig antreten möchte, kann es jetzt tun, ab 1995 ist Schluß. Das freilich hat einen wahren Exodus vor allem aus dem Staatsdienst bewirkt, mehr als eine halbe Million Berechtigter hat schon vorsorglich mal einen Antrag gestellt, vor allem Lehrer und Polizisten. Die freiwerdenden Stellen müssen neu besetzt werden – ein Flop, der umgerechnet über 40 Milliarden Mark kosten dürfte.

Dennoch wird Berlusconi das Problem definitiv lösen müssen – zu sehr sind ihm alle anderen Projekte den Bach runtergegangen. Ein Dekret zur Amnestie von Bausündern mußte soeben erneuert werden; statt der erhofften 15 Milliarden hat es nur 800 Millionen Mark in die Staatskassen gebracht und ist drauf und dran, durch Nachfolgelasten mehr als das Doppelte zu kosten. Das Dekret war so angelegt, daß wer sich selbst anzeigt und eine Strafe für seinen Schwarzbau – es gibt derzeit etwa zehn Millionen im Lande – bezahlt, das Gebäude damit im nachhinein legalisiert.

Auch andere Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung sind bereits Makulatur. So wollte Berlusconi die staatliche Fernsehanstalt RAI nicht nur mit Hilfe eines neuen Rundfunkrates und einer neuen Leitung aller drei Kanäle disziplinieren. Vor allem wollte er durch drastische Mittelkürzungen und eine starke Einschränkung der Werbezeiten die Abschaltung von mindestens einer der drei Sendeketten erzwingen – was seinen drei notleidenden Privatsendern viele neue Werbekunden zugeführt hätte. Doch nun fühlt sich der Koalitionspartner Lega nord düpiert, der bei der Neubesetzung leer ausgegangen war. Die Liga fordert nun nicht nur ein Revirement der Umbesetzungen, sondern drängt auch auf Aufrechterhaltung aller drei Kanäle, weil sie sich die Übernahme des dritten Fernsehens erhofft. Die Debatte über das „RAI- Rettungs-Gesetz“ sieht die Linksopposition daher Seite an Seite mit der Liga, sofern Berlusconi nicht einlenkt und seinen Sparplan fürs Öffentlich-Rechtliche zurücknimmt. Auch andere Ansätze zur Einsparung haben wenig Aussicht auf Erfolg. Zu sehr stehen insbesondere die kleinen Koalitionspartner – Liberale und das Zentrum – mit ihren Ministern im Gesundheits- und Schulwesen bei ihrer Klientel im Wort, um sich die Mittelverknappungen gefallen zu lassen. Der Justizminister, ein Liberaler, begehrt glatt eine Verdoppelung seines Etats. Auch die Streichungen im Verteidigungshaushalt hat Berlusconi-Intimus Cesare Pivetti längst wieder rückgängig gemacht. „Sie müssen aufpassen“, hat Fiat-Chef Agnelli Berlusconi beim Abendessen gesagt, „daß Ihre Maßnahmen am Ende nicht wie Scharlatanerie aussehen. Und Sie wissen, was das für Sie auch als Unternehmer bedeutet.“ Werner Raith