Skulptur im Flur

■ ART i.G. im Knast in Vechta: Ein Galerieprojekt,noch bißchen zahm

Man nennt ihn Rennflur, diesen Gang. Noch vor einem Jahr war er eierschalengelb und abgegrabbelt. Jetzt erstrahlt er sauber getüncht in unschuldigem Weiß. Die einen finden ihn bärenstark, für die anderen ist das „der allerletzte Schrott“. Nicht der Gang an sich, sondern das, womit sich seine Wände schmücken. Jede, die sich hier zwischen Knastaufnahme und Jugendzellen bewegt, muß neuerdings durch Kunst hindurch. Gipsbüsten hängen an Eisenketten von der Decke, Arzneifläschchen ragen aus Reliefs in den Raum. Was andernorts Galerie genannt wird, heißt hier ART i.G., Kunst im Gefängnis. „Und glauben sie ja nicht, daß sich da alle auf die Schenkel trommeln.“

An Petra Huckemeier hängt dafür die Verantwortung. Seit September 94 gibt es „ART i.G.“ in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta, die stellvertretende Anstaltsleiterin hat das Projekt initiiert. ART i.G., das war zunächst die Erfahrung mit Kunstausstellungen im Vollzug, die die Sozialpädagogin Petra Huckemeier aus der Männer-U-Haft in Oldenburg mitgebracht hatte. Sie spricht von „Schonraum“, von „Erlebnis“, von „therapeutischen Effekten“ und von „schönem Ambiente“ durch die Bilder an der Wand. Solcherart Kunstvollzug gibt es auch in anderen Haftanstalten. Die Idee jedoch, diesen auch in der niedersächsischen Kleinstadt Vechta anzuleiern, hat sich inzwischen zu einem kleinen Unikum gemausert: Kunst in Vechta macht einmal die Woche auf, jeden Donnerstag von 19 bis 20 Uhr. Mit dem gültigen Personalausweis in der Tasche können dann alle VechteranerInnen mal das Gefängnis von innen sehen. Das ist neu.

Und für viele Einheimische die erste Berührung mit dem ehemaligen Franziskanerkloster, das umgeben von Mädchengymnasium und Katholischer Probstei im Backsteineinheitskleid im Zentrum der Vechtaer City sitzt. „Eine gute Gelegenheit, sich Bilder anzusehen und ganz insgeheim auch mal den Knast“, schreibt ein Besucher im Gästebuch, das über die Akzeptanz des Projekts Statistik führt. Neunzig Unterschriften honorieren dort die erste Werkschau, eine Retrospektive einer jungen Künstlerin aus dem Ort. Seit letzte Woche zieren Fotos, Objekte und Installationen – stark körperorientiert – von Wenche Burger Nöstvold aus Cloppenburg den Klosterflur. 200 sind zur Vernissage gekommen.

Da passiert es dann schon mal, daß eine Gefangene durch den Galeriengang wandelt und mit ihrer Suchtberaterin über die Bilder sinniert. „Das ist der Boden, den wir für ART i.G. brauchen“, sagt Petra Huckemeier, „aber den können wir natürlich nicht zaubern.“ In den Sommermonaten haben ihm eine Handvoll Frauen in der Gefängnisturnhalle den Arbeitstitel „Mittendrin mit draußen“ gegeben. Oldenburger Kunststudentinnen sind damals achtmal mit Professorin und Modell zum Aktmalen angereist. Ein spannendes Experiment in den Augen der Betreuerinnen, die wissen, daß die Frauen im Knast „extra zumachen“, wenn's um den eigenen Körper geht. „Du hast ja vielleicht was anderes im Kopf als Malen“, kommentiert Stacy.

Stacy, 19 Jahre alt, seit anderthalb Jahren in Haft, seit acht Monaten in Vechta, war beim Aktprojekt dabei. Vom nackt posierenden Modell dachte sie zuerst: „Die hat ne Macke.“ Stacy hat im Kurs massenweise Frauenkörper in Kreide produziert, aber auch schon vorher gemalt. „Wenn ich ne Wut habe, gehe ich in die Hütte.“ Stoned again heißt Tracys Karikatur, die in Jugendbau an die Wand gepinnt ist. Ein „Johnnie Walker“ mit flammender Haarpracht. Wenn Stacy vor ihm mit ihrer süßlichen Aura in dem düsterblauen Jugendzellentrakt philosophiert, dann wirkt der schnieke Galeriengang mit seinen Kugellampen zehn Meter weiter echt artig, elitär und fremd.

Nun dürfen die Frauen im „Kämmerlein“ weitermalen, und Petra Huckemeier denkt darüber nach, wie sie „Mittendrin mit draußen“ ausbauen könnte. Denn davon haben die Frauen außer ihrem Spaß ganz konkret auch Geld. Zum Einheitspreis von 150 Mark sind ihre Werke in der letzten Ausstellung angeboten worden. Viele Bilder gingen raus, die Erlöse aufs eigene Konto. Allen weiteren Gehversuchen in diese Richtung fehlt jedoch der finanzielle Unterbau. Das heißt, er zeigt sich im Moment in Form eines Styroportöpfchens in der Hand von Frau Huckemeier, aus dem sie den Aldi-O-Saft für die Vernissagen finanziert.

Längst hat sie keine Lust mehr, ART i.G. quasi für lau zu präsentieren; die Zeiten sollen vorbei sein, in denen sie einen so publikumswirksamen Künstler wie Tomasz Lubaszka mit seinen Sandbildern „Für die Ewigkeit“ nur gewinnen konnte, weil sie ihn halt persönlich kannte. „Und wir können dann die Sachen ja noch nicht mal versichern.“ Doch die Sponsorenabsagen füllen den Ordner. „Kunstsponsoring für die sogenannten Randbereiche interessiert doch keinen. Die Banken argumentieren mit ,anderen Schwerpunkten'. Da müssen immer erst mühsam zwei oder drei zusammenkommen, bis sich eine Lobby aufbaut.“

Zwei haben sich unter den 24.000 im Ort schon gefunden: Die MitarbeiterInnen des Vechtaer Kulturamtes, unterstützen ART i.G. nach Kräften, aber die Stadt hat ja auch kein Geld. Also versucht das Kulturamt, das „ganz normale Kulturprogramm“ in Vechta zu ergänzen und fragt grundsätzlich bei Theatern, Musikern, Kabarettisten an, ob auch eine Veranstaltung im Knast noch „drin ist“. Das ist kostengünstig, verlangt der Stadt im Moment noch Minimalbeträge ab, funktioniert aber nur über das Entgegenkommen der KünstlerInnen. Gemeinsam mit der JVA will man nun das Land Niedersachsen in die Verantwortung nehmen. Denn ART i.G., das fansziniert das Kulturamtsduo auch ganz persönlich: „Ich lebe jetzt 45 Jahre, sieben Achtel davon in Vechta und war letztes Jahr zum ersten Mal im Knast“, sagt Margret Middelkamp. „Seither weiß ich, was Türen ohne Griffe sind.“

Silvia Plahl