Der liebe Duft der Zürgelbäume

■ Kunst zwischen Exil, Vermarktung und stiller Ironie: Ein Interview mit den beiden auf Kuba lebenden Künstlern Eduardo Ponjuan Gonzalez und Rene Francisco Rodriguez, die trotz Zensur und Perspektivlosigkeit

taz: Tausende Kubaner sind bereits geflüchtet. Ihre Väter und viele Ihrer Geschwister leben in den USA. Sie bleiben, egal was passiert?

Eduardo Ponjuán González: Ich will der Frage nicht ausweichen, aber ich weiß nicht, ob ich mein ganzes Leben in Kuba verbringen will. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Ich weiß nicht einmal, was in den nächsten fünfzehn Minuten passiert. Die Künstler, die bleiben und weiterhin ernsthaft arbeiten, hören nicht auf, kritisch zu sein. Ich ziehe es vor, harte Kritik in Kuba und nicht im Ausland zu üben. Ich kann mein Land – jedenfalls jetzt – nicht verlassen. Ich fühle mich meinen Schülern, die manchmal nur ein Glas Zuckerwasser zum Frühstück haben, moralisch verpflichtet. Im Gegensatz zu mir können sie nicht reisen, und ich kann ihnen zumindest meine Erfahrungen vermitteln.

René Francisco Rodriguez:Ich persönlich fühle mich mit meiner Entscheidung zu bleiben gut. Mein Herz ist ruhig, ich habe meine Wohnung, sehe meine Familie und meine Freunde, habe meine Arbeit, ein Stückchen Land. Das ist eine sehr intime Beziehung zur Kultur und Geschichte. Auch wenn ich nie ein Revolutionär war und ich die Revolution und Fidel Castro schon vor langer Zeit aus meinem Kopf verbannt habe, schmerzt es mich, daß Kuba kulturell so ist, wie es jetzt ist. Aber ich muß arbeiten, meine Bilder verkaufen und mich auf dem Markt bewegen. Ich muß Dinge machen, die mir durch die Revolution verborgen geblieben sind. Ich bin schon lange auf dieser Reise, auch wenn ich in Kuba bin.

Ein Rückzug ins Private also?

René Francisco: Genau. Ich arbeite als Universitätslehrer am Höheren Kunstinstitut in Havanna aus persönlichen Gründen. Man muß arbeiten, um zu leben, egal wo. Wenn ich das Land wechseln sollte, habe ich meinen Beruf als Hochschullehrer. Ich muß mir bewußt sein, daß ich wenigstens einen Nutzen aus dieser schweren Zeit ziehe, und sei es nur die Arbeitsdisziplin, auch wenn ich manchmal von der Hand in den Mund lebe. Als Hochschullehrer verdiene ich umgerechnet nur drei Dollar im Monat.

Ponjuán: Mich interessiert die Teilnahme am Kampf um die Macht auch aus privaten Gründen nicht. Ich glaube nicht an die Politik. Ich halte mich lieber als Beobachter am Rande. Ansonsten organisiere ich mein Leben, indem ich reise oder ein Bild verkaufe. Das Gehalt reicht vorne und hinten nicht. Eine Schachtel Zigaretten kostet zehn Pesos, ich rauche zwei Schachteln am Tag. Nach zwei Wochen hat sich mein Monatslohn also in Rauch aufgelöst.

Sind die jetzigen Bedingungen in Kuba Themen für Sie?

Ponjuán: Ja, all die Phänomene wie die Öffnung, die Internationalisierung der kubanischen Kunst, die Tendenz zum Mainstream, die kommerziellen Galerien, die Reisen der Künstler, die „Dollarisierung“ unserer Gesellschaft. Wir reflektieren die gegenwärtige Lage und haben trotzdem eine kritische Distanz. Es ist wie ein Ansporn, der aber nicht immer unbedingt stimulierend für die Arbeit sein muß.

René Francisco: Wir machen jetzt eine totalere Kunst. Wir nehmen keine vaterländischen Symbole mehr und greifen politische Themen nicht direkt auf. Wenn wir uns mit dem Tourismus und der Tatsache beschäftigen, daß Künstler ihr Land verlassen und ihre Träume verlieren, sind das auch politische Themen. Unser Werk spielt auf eine ziemlich verbindliche Art auf die politische Realität an. Wir malen keine Porträts von Fidel Castro mehr, statt dessen auch von Leuten, die keine Kubaner sind. Auch wenn wir das Thema Flucht nicht konkretisieren, tauchen in vielen unserer Installationen Flugzeuge auf. Sie sind die zeitgenössischen Ikonen des Reisens – das Fliegen ...

Dabei spielt auch die Ironie eine große Rolle.

Ponjuán: Ja. In der Ausstellung „Artista melodramático“ (Melodramatischer Künstler) von 1989, in der wir vertreten waren, wurden fünf Bilder von uns entfernt, auf denen wir Fidel Castro ironisch dargestellt hatten. Mittlerweile ist es ein Tabu für uns, Castro zu malen. Mit Bildern wie „Suicida“ (Selbstmörder), auf dem Castro aus vielen kleinen Glasstücken bestehend dargestellt wird, sind wir an die Grenzen der Realität gestoßen. Nachdem die Bilder entfernt worden waren, wurde die Ausstellung wiedereröffnet.

Hatte das persönliche Konsequenzen?

Ponjuán: Nein. Wir stellten aber drei Jahre lang nicht aus und nahmen weder an wichtigen Ausstellungsprojekten in Kuba noch im Ausland teil. Wir malten in der Stille und warteten. Das war die einzige schreckliche Konsequenz. Das ist die schlimmste Strafe: Die Erkenntnis, daß es eine Utopie ist, die Kunst ändere etwas im Leben, ist tragisch. Wenn der Dialog mit den Institutionen endet, ist das vernichtend, oder man muß das Land verlassen, was viele machen. Ich respektiere das. Wer aber in Kuba bleibt, muß eine Strategie suchen, kritisch zu sein ohne zensiert zu werden.

Es gibt immer Manipulation, inner- und außerhalb Kubas. Wenn in Mexiko keiner ein Leninbild haben will, muß ich überlegen, ob ich etwas Dezentes male. Der Markt hat eine so starke Manipulationskraft wie die Politik. Die kommerziellen Grenzen des Marktes bestehen darin, daß der Galerist ein Bild von 20 Meter Länge nicht nimmt, weil er es nicht verkaufen kann. Das macht aggressiv, weil es die Kunstideen verrät.

René Francisco: Das war wirklich eine schwere Zeit für uns. In dieser Zeit öffnete sich die kubanische Kunst für den internationalen Markt, und wir nahmen nicht teil. Das Kulturministerium war nicht an unseren Arbeiten interessiert. Es ist die Revolution, die das Kriterium der Freiheit festlegt.

Wenn fünfzehn Jahre wichtiger kultureller Arbeit einfach verschwinden und das einer Generation passiert, die das Land verbessern wollte, ist das eine Schweinerei. Für mich war die Kunst eine Waffe zur Veränderung. Dann merkte ich, daß das eine Lüge, eine Utopie war. Als ich 1990 nach Spanien fuhr, mußte ich weinen. Ich merkte, daß ich betrogen worden war. Wenn wir aber in Kuba bleiben, bleiben wir nicht in unserer Entwicklung zurück. Wir entwickeln uns geistig weiter. Und von den paar Dollar, die wir verdienen, rufen wir in Deutschland an oder schicken Faxe.

Sie bereiten sich auf ein postsozialistisches, halbkapitalistisches Kuba vor?

René Francisco: Ich glaube ja. Es stimmt, daß wir sehr romantisch waren. Aber wir selbst haben den Vorhang entfernt, der verhinderte, dahinter zu sehen. Das ist ein Schritt der Avantgarde. Die Künstler sind die ersten, die Handel betreiben – mit der Kultur. Verkaufen und nicht die Kunst aus den Augen zu verlieren, das ist das Gefährliche. Die Kunst darf nicht zur Ware werden. Es gibt jetzt Künstler, die Bilder mit Fidel Castro malen, die nicht aggressiv sind, und die Touristen finden das hübsch und verstehen die Ironie gar nicht.

Ponjuán: Es gibt Interesse an der kubanischen Kunst. Sie wird billig gekauft und in Miami oder New York verkauft. Wenn wir gar keine Beziehungen in dieser Richtung haben, verdienen wir keinen einzigen Dollar. Kein Kubaner kauft dir ein Bild ab. Und wenn uns das Nationalmuseum der Schönen Künste ein großes Bild für 20.000 kubanische Pesos abkauft, klingt das nach viel, entspricht aber auf dem Schwarzmarkt nur zweihundert Dollar. Lange Zeit war es eine künstlerische Sünde, Bilder für den Verkauf zu malen. Wir machten Ausstellungen, zeigten die Bilder und brachten sie wieder nach Hause. Das war unser Verdienst. Jetzt ist das total anders. Viele Künstler malen zwar kritische, ironische Bilder, aber so, daß sie sich verkaufen lassen. Seit April gibt es ein Gesetz, das den Verkauf von Bildern an Touristen erlaubt. Das ändert ihre Werke schon. Wir verkaufen an Sammler, Galerien, Kunsteinrichtungen, aber nicht an Touristen.

Ponjuán: Unsere Bilder dienen nicht gerade dazu, das Haus zu schmücken. Niemand will über dem Bett einen Lenin hängen haben. Bilder, wie wir sie malen, hängen meistens in Institutionen. Das Ludwig-Forum beispielsweise hat einen großen Teil unserer Werke gekauft (Peter Ludwig hat seit 1990 ein großes Konvolut von Arbeiten jüngerer kubanischer Künstler erworben. In absehbarer Zeit wird er eine Zweigstelle seiner Stiftung in Havanna eröffnen. Ponjuán und René Francisco gehören zu den von ihm auserwählten Künstlern. Im nächsten Jahr sollen sie ein Stipendium der Stiftung erhalten. Anm. d. Red.). Die mittlere Käuferschicht der Bourgeoisie im Ausland sucht eher dekorative Kunst, und eben genau das kann ein deutscher Galerist verkaufen. Nicht alle Galeristen sind gleich, und es gibt auch Interesse an sozialkritischer kubanischer Kunst. Das ist die, die sich zuerst internationalisierte. Achtzig Prozent der kubanischen Kunst, die Ludwig hat, sind von Künstlern, die mittlerweile im Exil leben.

Gibt es Tabus?

René Francisco: Wir haben Portraitbilder von Freunden gemalt, die in New York leben. Das ist ein politisches Tabu, weil die, die weggehen, nicht mehr zur kubanischen Kultur gehören.

Haben Sie noch Lust, Tabus zu brechen?

Ponjuán: Immer. Aber im politischen Bereich haben wir die Grenzen bereits erreicht.

Wo sind die Bilder, die 1989 zensiert wurden, jetzt?

Ponjuán: Bei uns zu Hause. Ich hoffe, sie eines Tages wieder in Kuba zeigen zu können. Wir wollten sie nie verkaufen.

Warum nicht?

Ponjuán: Weil sie gefühlsmäßig einen besonderen persönlichen Wert für uns haben.

Haben Sie den Zusammenbruch des Sozialismus in den Ostblockstaaten bedauert?

Ponjuán: Der Mauerfall hat uns gefreut. Wir gehörten in den 80er Jahren zu den Künstlern, die reale Utopien machen wollten, ohne gegen die Revolution und den Sozialismus zu sein. Wir wollten nur, daß sich die Utopien verwirklichen. Als wir merkten, daß es nicht geht und nur eine Utopie mehr ist, ging dann mit den Veränderungen der romantische Aspekt der gesellschaftlichen Veränderungen verloren. Viele Künstler verließen in ihrer großen Verzweiflung das Land und gingen ins Exil. Wir gehören zu den wenigen, die blieben.

Warum?

Ponjuán: Das ist eine persönliche, gefühlsmäßige Entscheidung, die nichts mit Politik zu tun hat. Ich könnte sagen, aus Liebe zu meiner Frau und meiner Tochter oder wegen des Duftes der Zürgelbäume. Es gibt natürlich auch einen kulturellen Grund, der unsere Arbeit nährt. Vielleicht haben wir etwas Angst, diese Wurzel zu verlieren, in deren Kontext wir arbeiten.

Was wären ideale Arbeitsbedingungen für Sie?

Ponjuán: Die Urgemeinschaft, wo der Künstler ein wichtiger Zauberpriester eines Stammes ist, der hilft, Menschen zu heilen.

René Francisco: Der Zustand, der kommt. Wir haben schon festgestellt, daß der Traum einer Kunst, die die Gesellschaft beeinflußt und Avantgarde ist, eine Utopie ist. Ich glaubte, daß Kuba der beste Ort sei, um Kunst zu machen.

Das Interview führten Barbara Bollwahn und Severin Weiland.

Im Rahmen der 5. Biennale von Havanna ist in Aachen eine Gemeinschaftsarbeit von Ponjuán y René Francisco zu sehen.