Haßloch ist überall!

■ "Die Erbsenzähler" sind unter uns: Ein Feature über die GfK, 21.45 Uhr, ARD

863.000 TV-Werbespots wurden 1993 ausgestrahlt. In diesem Jahr investiert die Wirtschaft sieben Milliarden Mark in die Fernsehwerbung. Die Hälfte des Geldes sei umsonst ausgegeben, so ein alter Scherz der Werbebranche, man wisse eben nur nicht welche.

Von der Frage, ob und wie Werbung überhaupt wirkt, profitieren vor allem die Meinungs- und Konsumforscher, ihr (Meta-)Markt boomt. In ihrem Feature „Die Erbsenzähler“ geben Petra Höfer und Freddie Röckenhaus interessante Einblicke in eines der größten Marktforschungsunternehmen, die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Stichprobenartig picken die Damen und Herren von der GfK einzelne (Werbungs-)Konsumenten heraus, um sie systematisch auszufragen, was sie von welchen Produkten halten und an welchen Werbespot sie sich noch erinnern können: Da hockt dann Herr X, umrahmt von Brokatvorhängen und Kaufhausbildern, in seiner rustikalen Bauern-Sitzecke. Streng wie eine Ärztin geht die ihm gegenüber sitzende Dame von der GfK ihren Fragenkatalog durch: „,Nicht immer, aber immer öfter‘ – ist welches Bier?“ Der Brokatsympathisant strahlt, hatte er doch zuvor schon mehrmals gepatzt. Jetzt sagt er ohne Zögern: „Löwenbräu!“

Minutiös und detailreich dokumentiert das Feature „Die Erbsenzähler“ die Vorgehensweise der informellen GfK-Mitarbeiter. Sie sind erstaunlich willkommen bei den „mündigen Bürgern“, die sich hier bereitwillig zum Info-Deppen entwürdigen lassen. Ganz dreist treibt es die GfK in der vorderpfälzischen 19.000-Seelen-Gemeinde Haßloch, deren Kaufkraft laut Statistik dem absoluten Bundesdurchschnitt entspricht. Das dortige TV- Kabelfernsehen ist vom normalen Netz getrennt. Neue TV-Spots werden hier im Pilotverfahren eingespeist. Da jeder zweite Haßlocher Haushalt vermittels eines „Datenstaubsaugers“ via Fernleitung mit dem GfK-Zentralrechner gleichgeschaltet ist, kann die Effizienz jedes neuen Spots anhand des Abverkaufs des entsprechenden Produktes zahlenmäßig exakt erfaßt werden. Die „gläsernen Konsumenten“ sind stolz darauf, Versuchsratten in einem komplett überwachten Mikromarkt zu sein: „Früher waren wir eine Gemeinde, die niemand kannte“, so der Vorsitzende des ortsansässigen Gesangsvereins. „Jetzt sind wir wenigstens Durchschnitt!“

Leider ist der 30minütige Film viel zu kurz, um auch die interessanten Voraussetzungen seines Zustandekommens zu thematisieren. Aus zwei Gründen nur läßt sich die GfK neuerdings so bereitwillig in die Karten schauen: Zum einen schießen die Printverlage, die ihre Werbekunden ans Fernsehen verlieren, derzeit gegen das Nürnberger Unternehmen. Die GfK-Panels seien schon lange nicht mehr repräsentativ. Das Fehlen jüngerer und kritischer Zuschauer verzerre die Quoten hin zu seichter TV-Unterhaltung. Zum anderen bläst der GfK zur Zeit der eisige Wind der Konkurrenz ins Gesicht. Das finanzstarke US- Marktforschungsunternehmen A. C. Nielsen (Hamburg) erfaßt schon jetzt den Einkauf von 4.000 deutschen Haushalten, bis Ende 1995 sollen es 12.000 sein. Das Nielsen-TV-Panel umfaßt gegenwärtig zwar nur 1.000 Haushalte, zieht aber Ende 1995 mit geplanten 6.000 Haushalten an der GfK vorbei. Im Ballungsraum München hat Nielsen der GfK den Markt der TV-Reichweitenermittlung schon abgetrotzt.

In der Öffentlichkeit gerät die GfK somit in Zugzwang. Die ARD macht mit den „Erbsenzählern“ also unfreiwillige PR für die Nürnberger Quotenschnüffler.