Ein Toter mehr oder weniger

■ Der BBC-Reporter Mirwais Jalil wurde in Afghanistan ermordet

Er war auf dem Rückweg von einem Interview mit Gulbuddin Hekmatjar, das dieser dem italienischen Journalisten Ettore Mo von der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera gegeben hatte. Der junge BBC-Reporter Mirwais Jalil aus Kabul wurde am 29. Juli von bewaffneten Männern auf einer Straße nahe der Hauptstadt entführt und brutal ermordet.

Man kann den Tod dieses so begabten und ungemein liebenswerten Mannes von nur 25 Jahren verschieden interpretieren. Und man kann – und muß vielleicht – auch fragen, warum Aufhebens gemacht werden sollte um einen Toten mehr oder weniger in einem Krieg, in dem schon 1,5 Millionen Afghanen ihr Leben verloren haben.

Journalismus in Bürgerkriegszeiten ist nun einmal ein gefährlicher Beruf, wenn auf allen Seiten große Leidenschaften eine so überragende Rolle spielen. So könnte man zynisch kommentieren – und es dabei bewenden lassen.

Gerüstet mit Tonband und Mikrofon

Dieser Mord jedoch sticht heraus. Denn das Opfer war ein mutiger junger Mann, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Welt – und vor allem sein eigenes Volk – alltäglich darüber auf dem laufenden zu halten, was in Gesellschaft und Politik seines Landes geschah. Und zwar über den World Service der BBC.

Ich lernte Mirwais Anfang dieses Sommers kennen und schätzen. Nie trug er eine Waffe bei sich, er rüstete sich immer nur mit Tonband und Mikrofon. Er war voller Energie und bewies großen Mut. Daß Millionen Afghanen regelmäßig BBC hören und den Sendungen trauen, ist in erster Linie der Objektivität von Mirwais Jalil und William Reeve, einem früheren Kabul-Korrespondenten der BBC, zu verdanken.

Deshalb auch könnte dieser Mord ernste Folgen haben für die Haltung der internationalen Gemeinschaft zu Afghanistan. Alle, die der Mühen des Friedensprozesses innerhalb Afghanistans müde geworden sind – und das sind, innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen, inzwischen nicht wenige – können diesen Mord als weiteren Beweis dafür heranziehen, es herrsche in diesem Land ein derartiges Chaos, daß man von außen keinerlei Versuche zur Besserung der Situation mehr machen kann oder auch nur sollte.

Viele Bürger des Landes wie auch internationale Beobachter interpretieren zudem den Mord an Mirwais Jalil als Warnung nicht nur an die BBC, sondern an alle Journalisten, keine Kritik an den bewaffneten Gruppierungen zu üben, die zur Zeit die Macht haben. Da Jalil in einem Territorium Afghanistans ermordet wurde, über das Gulbuddin Hekmatjars Gruppe „Hizb-i-Islami“ herrscht, wird zudem vermutet, daß Hekmatjar, nominell Premierminister des Landes, der Auftraggeber war. Erfahrungsgemäß wird es weder Verhaftungen noch einen Prozeß geben, so daß auch diese Klage vor keinem Gerichtshof je erhoben werden wird.

Die internationale Gemeinschaft wird aus diesem feigen Mord an einem Unbewaffneten sicher gerne wieder die ihrem – und nicht nur ihrem – Stereotyp entsprechenden Schlüsse ziehen wollen, nämlich, daß die Afghanen nun einmal ein besonders blutdürstiger und hinterlistiger Volksstamm seien. Die Taten der Bandenführer werden zum Charakteristikum aller Afghanen.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist die Haltung gegenüber Afghanistan angesichts der schier endlos scheinenden Zerstörung und allgemeinen Anarchie in der Hauptstadt spürbar härter geworden. Die katastrophale Lage in Kabul lenkt ab von den Fortschritten, die es beim friedlichen Wiederaufbau in Herat und anderen Teilen des Landes gab, aber auch bei der Rückführung von über einer Million afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan und dem Iran.

Hilfsorganisationen drohen zu gehen

Die Gefahr, daß die wenigen internationalen Hilfsorganisationen, die noch in Afghanistan sind, aufgrund der Risiken für ihre Leute ihre Dienste reduzieren oder gar einstellen, muß sehr ernst genommen werden. In Kabul halten einige wenige Experten, Ausländer und Afghanen, die Infrastruktur der Stadt aufrecht. Und unter ihrem Schutz helfen hier und in anderen afghanischen Städten die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) und eine handvoll anderer Hilfsorganisationen den Tausenden zu Krüppeln und Waisen geschossenen und gebombten Opfern des Krieges.

Die extrem schwierige Situation der afghanischen Bevölkerung muß regelmäßig und mit vertrauenswürdigen Berichten in den Medien auftauchen, wenn die Hilfsorganisationen und Regierungen für Aufbau und Bemühungen zur Beendigung des Krieges weiter bei der Stange gehalten werden sollen.

Am 17. August trafen sich Ettore Mo, Baquer Moin (Chef des Persiendienstes der BBC) und andere BBC-Journalisten in Londons Verein der Auslandspresse und diskutierten die Schwierigkeiten der Berichterstattung aus und über Afghanistan. Die afghanischen Medien selbst sind mit der Desintegration der staatlichen Strukturen praktisch völlig zusammengebrochen. In Kabul werden keine Zeitungen mehr produziert, und die meisten ausgebildeten Journalisten sind, zusammen mit der restlichen Elite des Landes, nach Pakistan, dem Iran, Westeuropa und in andere Länder geflüchtet. Zwar werden immer mal wieder kleine Sender in einigen Gegenden des Landes in Gang gebracht, aber es fehlt ihnen die Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung.

Auf dieser Pressekonferenz wurde ein Plan zur Gründung einer Stiftung zum Gedenken an Mirwais Jalil bekanntgegeben, mit deren Hilfe junge Afghanen zu Journalisten ausgebildet werden sollen. Sie sollen die Bevölkerung ihres Landes mit gut recherchierten und genauen Nachrichten versorgen können – in einer Tradition, wie sie die BBC vertritt – verläßlichen Schätzungen zufolge hören 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung regelmäßig ihre Sendungen. Mehrere Organisationen, darunter die BBC selbst, Reuters, Newsweek, Oxfam und andere, haben bereits ihre Unterstützung für dieses Projekt zugesagt. Anthony Hyman

Anthony Hyman ist Journalist und Zeithistoriker. Sein spezielles Interesse gilt Afghanistan und Zentralasien.