Gleichstellung nach Männermaß

■ 317 Frauenbeauftragte mußten sich in Bremerhaven harter Kritik stellen

Seit die Stadt Köln 1982 die erste Frauenbeauftragte einstellte, haben mittlerweile rund 1.300 BAT-besoldete Kämpferinnen für die Gleichberechtigung der Frauen hinter Behördenschreibtischen Platz genommen. Von Montag bis Mittwoch trafen sich 317 von ihnen in Bremerhaven zu ihrer 10. Bundeskonferenz. Empfangen wurden sie mit fundamentaler Kritik an ihrem Job.

„Mit ihrer Institutionalisierung hat die Frauenbewegung ein falsches Gleis betreten“, provozierte Anita Heiliger vom Deutschen Jugendinstitut in ihrem Einführungsreferat. Nach 20 Jahren neuer Frauenbewegung sei ein Stadium der Domestizierung und Ruhigstellung erreicht. Auf dem Behördenweg bleibt Frauenpower auf der Strecke, so Heiliger: „Die Apparate kennen alle ihre Schliche, neue Ansätze im Sand beziehungsweise in der Bürokratie verlaufen zu lassen. Widerstand wird militant, wenn Männer ihre persönlichen Interessen gefährdet sehen“, zum Beispiel durch Frauenförderung. Doch die Frauen schlagen nicht effektiv zurück. Statt – wie in Chicago – Wirtschaftsboykotte gegen Frauenfeinde zu organisieren, lassen sie sich mit Verwaltungsvorlagen zumüllen.

Anita Heiliger forderte die Frauen auf, vom „Befriedungskarussell“ abzuspringen und sich auf ihre ursprüngliche Utopie zu besinnen: Statt sich per Institution nach männlichem Maß „gleichstellen“ zu lassen, statt sich mit 30 oder 40 Prozent auf Wahllisten zufriedenzugeben, müßten die Frauen – wenigstens vorübergehend – die ganze gesellschaftliche Macht fordern.

Die Frauenbewegung müsse wieder radikal werden, über Sanktionen, Zwangsmaßnahmen und Kontrollen nachdenken. „Sicher, das liegt uns nicht“, räumte sie ein. „Wir denken moralisch und wollen Gerechtigkeit auch für Männer.“ Wenn die Bewegung diese Schiene nicht verlasse, „werden wir noch weitere 5.000 Jahre bloß von der weiblichen Zukunft träumen“, schloß Heiliger.

Nicht unbedingt neu, nicht unbedings originell, aber die meisten Teilnehmerinnen nahmen es so, wie es von den Organisatorinnen gemeint war: als Blick von außen auf eine drohende Verkrustung, als Anstoß, sich der eigenen Wurzeln zu erinnern.

Doch ist jetzt offensichtlich nicht die Zeit für eine erneute Radikalisierung, sondern für Bestandssicherung, schwer genug, angesichts der massiven Zurückdrängung von Fraueninteressen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das wurde auch in den drei Fachforen deutlich. Ob die Umstrukturierung der Bürokratie unter dem Stichwort „lean administration“, ob Sozialpolitik oder die Verteilung des knappen Gutes Arbeit – ihre wesentliche Aufgabe sehen die Frauenbeauftragten darin, den Sparkommissaren entgegenzutreten und Gestaltungsräume für Frauenpolitik offen zu halten.

Die vom Kongreß verabschiedeten Forderungen wurden auf einer abschließenden Podiumsdiskussion Vertreterinnen der Bonner Parteien vorgelegt. CSU-Politikerin Ursula Männle konnte lediglich mit ihrem persönlichen Bekenntnis zur Verlängerung der Verjährungsfrist bei sexuellem Mißbrauch Beifall ernten. FDP-Vertreterin Ruth Wittler-Koch blieb im Verkehr stecken. Monika Ganseforth (SPD), Marieluise Beck (Bündnisgrüne) und Petra Bäss (PDS) waren sich über die soziale Absicherung der Frau unabhängig vom Mann im Erwerbsleben und im Alter weitgehend einig. Sie enthüllten mehr oder weniger unverholen ihr Dilemma: die Frauenbewegung im Herzen, die Parteimänner im Genick. Heraus kommen Kompromisse. Beck und Ganseforth hoffen auf mehr Druck der Frauenbewegung auf die Politik, womit der Kreis zum Eingangsreferat geschlossen wäre.

Annemarie Struß-von Poellnitz