■ Neogermanen und Ökofreaks haben ein neues Hobby:
: Der Trend geht zur Brandblase

München (taz) – Nicht erst seit Margarethe Schreinemakers vor laufenden Kameras über einen glühenden Kohleteppich hüpfte, hat „Feuerlaufen“ Hochkonjunktur. In zahllosen Psycho- und Selbsterfahrungsseminaren findet allwöchentlich „Einweihung“ statt in die Geheimnisse esoterischer Weltsicht. Als deren Höhepunkt gilt vielfach die „spirituelle Reinigung durch die Kraft des Feuers“. Es geht um den „Tanz über rotglühende Kohlen“, „unversengten Fußes“ selbstredend; um die „Überwindung von Angst“, die „umwälzende Erfahrung, das Unmögliche zu vollbringen“. Die Ankündigungen der einzelnen Veranstalter überschlagen sich fast: Kein Problem, sei es körperlich, geistig oder seelisch, das nicht durch das Erleben des Feuerlaufens einen „alchimistisch-transformatorischen Wandel“ erführe: Ein „neugeborener Mensch“ entsteige der Glut wie einst Phoenix der Asche.

Mit den althergebrachten Traditionen des Feuerlaufens, etwa den religiösen Riten in Singapur oder dem nordgriechischen Anastenária-Kult, hat das Kohlehüpfen der Esoterikszene wenig zu tun. Gnadenlos wird da ethnisches Kulturgut aus seinem Kontext gerissen, trivialisiert und ausgeschlachtet. Völlig willkürlich wird da „gechantet“ (vorgeblich ethnisches Liedgut intoniert), rhythmisch geklatscht und auf den Boden gestampft sowie hyperventilierend hechelgeatmet. Und, nicht zu vergessen: JedeR denkt sich ein individuelles „Feuer-Mantra“ aus.

Aus den Überresten eines abgebrannten Scheiterhaufens wird ein Teppich aus vor sich hinkokelnder Kohle gerecht, eineinhalb Meter breit und vielleicht sechs Meter lang, über den nun die Teilnehmer des Workshops fürbaß schreiten oder tanzen sollen. Dies tun sie denn auch, freilich geschwinden Fußes und eher hopsend, auch wenn die Seminarleiter angestrengt die elegisch-getragene, wahlweise auch: ekstatische Atmosphäre der Szene beschwören. Am Ende der sechs Meter angekommen, stecken alle ihre Füße in einen Kübel mit kaltem Wasser, um sich dann – tatsächlich etwas ekstatisiert, gelegentlich gar tränenüberströmt – in die Arme zu sinken: geschafft! Das Unmögliche ist möglich geworden: Angst in schiere Power verwandelt!

Rein physikalisch ist der Feuerlauf keineswegs das überirdische Miraculum, als das er stets gepriesen wird. Zunächst beträgt die Temperatur nicht 1.000, sondern nur 500 bis 700 Grad Celsius. Für Bruchteile von Sekunden kühlt der Schweiß am Fuß des Feuerläufers eine sehr dünne Kohleschicht ab, erkennbar an den dunklen Stellen, die die Schritte auf der Glut hinterlassen; überdies ist der Fuß des Läufers durch eine dünne Ascheschicht auf der Sohle geschützt. Die Zeit, die der Fuß die heiße Kohle berührt, darf freilich nicht mehr als etwa 0,8 Sekunden betragen. Der Lauf über den Glutteppich hat maximal drei Bodenberührungen pro Fuß, anschließend folgt der Sprung mit den Füßen ins kalte Wasser: ein Wunder? Ein Wunder wäre es, wenn ein Feuerläufer für – sagen wir – fünf Sekunden in der Glut stehenbleiben oder unversehrt über eine 700 Grad heiße Metallplatte laufen könnte.

Irgendwelcher „esoterischer Einweihung“ oder hypnotischer Trance bedarf es zum schadlosen Überqueren des Glutteppichs also keineswegs. Ob die allemal erforderliche Überwindung der eigenen Angst beim Betreten der Glut nun irgendwelche Auswirkung auf fürdere Lebensgestaltung hat, bleibt zu bezweifeln. Es ist ein ganz pfiffiger Trip und mehr nicht. Das Verblödungsbrimborium, das drumherum inszeniert wird, läßt den Preis freilich sehr hoch erscheinen: Ein Workshop bei Schreinemakers Feuerlauf-Heilpraktiker kostet 420 DM. Colin Goldner