Baumwolle, Leinen und Seide

■ "Aber Moidele, das ist doch nicht französische Renaissance", klagten die Franzosen. Die Kostümbilderin zu Patrice Chreaus neuem Film "Die Bartholomäusnacht" winkt ab

Moidele Bickel begann ihre Arbeit als Kostümbildnerin 1970 an der Berliner Schaubühne. Sie arbeitete zusammen mit Peter Stein, Robert Wilson, Klaus Michael Grüber, Patrice Chéreau u.a. „Die Bartholomäusnacht“ ist ihr zweiter Film. Das Interview führte Anja Seeliger.

taz: Adjanis Korsage sitzt einmal gefährlich lose, in der Szene, in der sie mit der Herzogin von Nevers die Protestanten nach ihren Bettqualitäten sortiert. Haben Sie die Korsage festgeklebt?

Moidele Bickel: Nein, die ist so steif wie ein Panzer. Die Korsage war unten zu, und wenn es in der Taille zu ist, kann überhaupt nichts passieren. Man kann sie oben ganz aufmachen, aber sie fällt nicht herunter. Sie ist wie eine Tüte, in der der Körper festsitzt. Darin kann man Purzelbäume schlagen, und sie fällt nicht runter.

Woran haben Sie sich bei den Kostümen orientiert?

Ich habe mir Bilder von Zurbarán, dem spanischen Barockmaler, angesehen, weil dessen Kostüme gewissermaßen Theaterkostüme sind. Die Zurbaránschen Heiligen tragen Kleider, die weder im Alltag noch zu zeremoniellen Gelegenheiten so getragen wurden, sie sind Erfindungen.

Wir haben kaum Vorlagen aus der Renaissance benutzt. Es ging mehr darum, Bilder zu finden, die einen inspirieren, selber etwas zu erfinden. Für das Massaker haben wir uns sehr viel von Géricault angesehen, diese Katastrophenbilder, wo die Körper sich schon in den Grund hinein auflösen.

Und dann natürlich Bilder von Rembrandt, aber Rembrandt ist nicht nachahmbar. Es ist sowieso ein großer Irrtum zu glauben, man könne ein Bild einfach umsetzen. Man kann es nicht, man kann es vor allen Dingen nicht in Bewegung umsetzen. Auf manchen Bildern tragen die Leute ganz wunderbare oder bizarre Kostüme, aber wenn man versucht, sie zu rekonstruieren, wird es ganz fragwürdig, sobald die Schauspieler anfangen, sich zu bewegen. Es gibt ein Bild von Zurbarán, das eigentlich gar nichts mit dem Film zu tun hat, trotzdem hat es so eine Initialzündung ausgelöst. Der Ausdruck, die Gesichter, die einfache Art, das Großflächige, die ernste Farbigkeit. Das z.B. waren solche Sachen, die wir uns immer wieder angeguckt haben, die Art und Weise, wie dieses Bild gebaut ist – die Chorknaben sind ein Block. Das haben wir dann auch mit den Bischöfen und dem Chor so gemacht. Mich interessiert die Komposition mehr als ein einzelnes Kostüm. Auch die Abwesenheit von Frisur hat mit Zurbarán zu tun. Außerdem mag Adjani keine Frisuren.

Ab wann waren Sie an Chéreaus Film beteiligt?

Ab Oktober vorvorigen Jahres. Da gab es das Drehbuch und sonst nichts. Da haben wir darüber gesprochen, was man will oder auf gar keinen Fall will. Hier, das ist Charles IX., es ist sicher sehr geschmeichelt, aber so sah er aus. Diese Kostüme sind unendlich reich dekoriert. Und genau das wollten wir nicht. Es sieht scheußlich aus, wenn man es schnell und billig macht. Und wenn es schön sein soll, braucht man für so ein Kostüm ein halbes Jahr.

Wie hoch war Ihr Budget?

Sechs Millionen Franc. Am Schluß haben wir etwas mehr ausgegeben. Aber es hat sich keiner beschwert. Diese Franzosen sind im Gegensatz zu uns Deutschen sehr geschichtsbewußt. Als ich anfing zu entwerfen, mußte ich mir jeden Tag 380mal anhören: „Aber Moidele, das ist doch nicht französische Renaissance. Das Kostüm muß doch so einen Kragen haben.“ Aber die historischen Schnitte passen heute niemandem mehr, weil die heutigen Körper ganz anders aussehen. Die Menschen früher hatten viel schmalere Schultern und waren viel zarter. Sie hatten nicht so viel Fleisch, nicht so viel Muskeln. Vor allem die Schultern der Frauen haben sich verändert. Im 18. Jahrhundert war die Silhouette so (zeichnet eine birnenförmige Figur in die Luft), heute haben sie alle diese Schwimmerschultern. Die Frauen haben heute auch nicht mehr so ein Dekolleté, die sind ja alle viel magerer.

Wie viele Kostüme mußten Sie anfertigen?

Die größte Ansammlung von Statisterie waren die 800 bei der Trauung, und für diese 800 haben wir 600 Kostüme herstellen lassen, der Rest war aus diesem bekannten Fundus in Spanien, und die Dinger sehen entsprechend aus. Wir haben sie ganz hinten hingestellt, wo man sie nicht so sieht, aber man sieht sie leider doch. Bei unseren Kostümen gibt es nur Leinen, Baumwolle und Seide – aus. Meistens wurden nur zwischen 150 und 400 Statisten gebraucht, und die konnten wir immer aus unserem eigenen Fundus anziehen, das heißt, die Kostüme kehren immer wieder. Schon allein deshalb gab es keine speziellen Dekorationen. Wir hatten fünf oder sechs verschiedene Wamsformen, fünf oder sechs verschiedene Hosenformen und vier Kleiderformen. Die Farbpalette des Films bestand aus nicht mehr als 25 Farbtönen, die wir dann kombinieren konnten.

War es von vornherein klar, daß Sie die Kostüme selbst herstellen würden?

Nein, überhaupt nicht. Das mußte ich erst bei der Produktion durchsetzen. Es war ein großer Kampf. Eigene Herstellung ist heutzutage nicht mehr üblich. Die Produzenten denken immer, man macht Kostüme für die Hauptdarsteller, und den Rest leiht man in irgendeinem Fundus. Deshalb sehen alle historischen Filme gleich aus, weil sie fast alle aus demselben Fundus kommen. Das wollte ich nicht. Es war mein erster großer Film, und ich war mehr geneigt, wie am Theater zu arbeiten, das heißt, ich versuche eine Art Umriß für die Geschichte zu finden, und dann mache ich es so einfach, wie es nur irgend geht.

Wie haben Sie diese riesigen Kleidermengen produziert?

Wir haben billig Stoffe eingekauft, ab Fabrik und überall, wo es große Lager von Stoffen gab, aber immer unter der Voraussetzung, daß es Baumwolle, Leinen oder Seide ist, damit wir die Stoffe färben konnten. Ich kannte eine Färberin, die eigentlich Filmhistorikerin ist und nur zum Spaß mal fürs Theater ein bißchen gefärbt hat. Mir gefiel ihre Arbeit sehr gut. In deren Badewanne haben wir dann die Muster gefärbt. Wir haben erst die Farbpalette hergestellt, ich habe zum Teil auf Aquarellpapier Muster gemalt, und sie hat dann jeweils die verschiedenen Materialien damit eingefärbt, was nicht einfach ist.

Die großen Metragen – 150 Meter Ocker, 150 Meter Schwarz usw. – haben wir in eine Färberei in der Provence gegeben, die von einem Maler betrieben wird, der sich in seinem Bauernhof eine Färberei eingerichtet hat, weil er seine Bilder nicht verkaufen kann. Dann haben wir eine kleine Werkstatt zusammengebracht, wo die Prototypen genäht wurden, von jedem Wams, jedem Kleid und jeder Hose. Die haben wir dann kleinen Fabriken gegeben, die sonst für Mode nähen. Die Kostüme für die Hauptdarsteller hat ein bekanntes Schneideratelier in Paris gemacht.

Einen Monat vor Beginn der Dreharbeiten haben wir angefangen zu nähen. Das ist sehr ungewöhnlich, denn normalerweise dreht man erst, wenn die Ausstattung fertig ist. Das wollten die Produzenten aber nicht, weil es viel Geld gekostet hätte. Also haben wir dem Film folgend genäht. Eigentlich waren wir immer nur drei, vier Wochen voraus mit der Werkstatt. Es war abenteuerlich ...

... wie die Arbeit eines Generalstabs.

Oh ja, aber ich hatte einen hervorragenden Assistenten, ein sehr junger Filmkostümmacher, der schon bei zwei Filmen mitgearbeitet hat, ich glaube er ist 24, in dem Alter spielen sie bei uns noch in der Disco Ball, und der hat alles organisiert. Die Produktion hat eine kleine aufgegebene Fabrik am Rand von Paris gemietet, wo die Produktionsbüros, Regie, Maske, Requisite, Architekten usw. untergebracht waren. Dort haben wir eine Waschküche installiert, in der die Färberin gearbeitet hat. Wir mußten schließlich doch ein bißchen mehr Stoff färben, als in eine Badewanne paßte.

Letztlich haben wir fast alle Stoffe gefärbt, und daher kommt die malerische Qualität der Kostüme, hoffentlich. Die Farbdramaturgie ist sehr streng. Es fängt mit Schwarz an, den Protestanten, dann kommt das Rot der Katholiken. Daraus ergibt sich dann ein ganz einfaches Farbschema. Die Katholiken durften nicht zu dunkel sein, damit man sie von den Protestanten unterscheiden kann. Und man kann auch bei dem Hochzeitsfest sehen, wie sich das verschlingt und dann wieder trennt. Ganz einfach.

Warum waren die Toten der Bartholomäusnacht alle nackt? Meine Assoziation war das Warschauer Ghetto.

Immer, immer wenn man eine Ansammlung nackter Leichen sieht, muß man daran denken. Außerdem war es Nacht. Das ist wirklich historisch. Die Katholiken haben die Protestanten in ihren Betten überfallen. Dann rasten die in ihren Nachthemden oder nackt auf die Straße – es haben ja auch damals nicht alle Leute in Nachthemden geschlafen – und dort wurden sie geschlachtet. Jetzt zeige ich Ihnen doch ein Bild von der Bartholomäusnacht ... Die Menschen sind natürlich auch nackt oder weiß gemalt, damit man das Blut sieht. Wie in dem Film auch. Ganz simpel. Und dann ist das Schwarz plötzlich weg. Nach der Bartholomäusnacht ist außer Catherine niemand mehr schwarz.

Man sah teilweise die Maske von Virna Lisi, war das auch Absicht?

Das lag daran, daß Patrice die entscheidenden Sachen leider oft erst sehr spät abends gedreht hat. Der Maskenbildner war sehr traurig darüber.

Mir gefiel es eigentlich. Ich dachte, es gehöre zu Chéreaus Erzählweise, daß er nicht vorgeben will, dies sei das wahre Leben.

Nein, im Fall Catherine war es Unachtsamkeit, weil der Maskenbildner nicht die eine Stunde Zeit bekam, das Make-up wiederaufzufrischen. Er hatte das Make-up um 7 Uhr in der Früh aufgetragen, da war es tadellos. Aber dann saß Virna Lisi bis fünf Uhr nachmittags rum, draußen hatte es 30 Grad, drinnen 45, und natürlich war der Kleberand der Glatze dann abends sichtbar.