Car-sharing fast zum Nulltarif

450 Berliner testen die MobilCard von „Stattauto“ / Greenpeace: Auslastung eines Car-sharing-Autos ist dreimal höher als bei einem Privatfahrzeug  ■ Von Frank Kempe

Der Abschied vom fahrbaren Untersatz mit den 72 PS unter der Haube wird Rolf Garster nicht gerade leichtfallen: Vier Jahre lang düste der Verwaltungsangestellte mit seinem Golf durch die Gegend – fast 50.000 Kilometer legte er damit zurück, die meisten davon für die tägliche Fahrt zur Arbeit. Doch in den vergangenen drei Wochen blieb der Wagen des 31jährigen vorm Haus geparkt. Ins Büro fuhr Garster mit Bus und U-Bahn, zu seiner Mutter nach Wolfsburg reiste er zwar mit dem Auto, nicht aber mit dem eigenen. Garster testet seit Anfang September die MobilCard der Kreuzberger Car- sharing-Firma „Stattauto“ und hat in der Golf-freien Zeit erfahren: „Es geht auch ohne eigene vier Räder.“ Kurzentschlossen gab er deshalb vor einigen Tagen eine Anzeige auf – unter der Rubrik Autoverkauf.

Der Angestellte ist einer von knapp 450 Berlinern, die seit Anfang September an der Greenpeace-Aktion „Pro Car-sharing contra Klimakollaps“ teilnehmen. Noch bis einschließlich heute kann sich jeder Berliner für den zumindest vorübergehenden Abschied vom eigenen Auto anmelden und die MobilCard für insgesamt 28 Tage ausprobieren. Und das fast zum Nulltarif: Nur das Kilometergeld und die auf die MobilCard geklebte Umweltmarke der BVG müssen bezahlt werden.

Das Angebot zum beinahe kostenlosen Autoteilen zieht. „Die testen wie verrückt“, sagt „Stattauto“-Geschäftsführer Markus Petersen, der erst einmal ein Dutzend Mietwagen ordern mußte, um den Bedarf auch nur annähernd decken und die Wartezeiten vermindern zu können. Die rund einhundert Fahrzeuge des Unternehmens reichen hinten und vorne nicht, nachdem nun 2.100 Namen in der Datei der vor sechs Jahren gegründeten Firma gespeichert sind. Der Kundenstamm, sagt der 34jährige, sei in nur drei Wochen um 25 Prozent gewachsen. „Das entspricht dem gesamten Wachstum des wirklich guten Geschäftsjahres 1993.“ Erstmals beteilige sich jetzt auch eine größere Anzahl älterer Semester am Car-sharing.

Für die Testfahrer und die 1.650 ordentlichen Mitglieder stehen die Pkw, Kleinbusse und zwei Lasträder an 21 Stationen auf Abruf bereit. Die Papiere und Schlüssel für die Fahrzeuge, die über eine rund um die Uhr besetzte Zentrale gebucht werden können, sind auf den Parkplätzen in einem Tresor deponiert, der sich nur mit der MobilCard und einem Code öffnen läßt. Die Geheimzahl muß auch dann angegeben werden, wenn sich der Teilnehmer telefonisch Bahntickets reserviert oder kostenlos ein Taxi ruft. Außerdem klebt die Umweltmarke der BVG auf dem Plastik-Rechteck.

Eine billige und zugleich umweltschonende Variante von Mobilität: Car-sharer fahren im Schnitt 75 Prozent weniger Autokilometer als ein durchschnittlicher privater Autobesitzer und sparen dabei je nach Fahrzeugtyp 2.000 bis 3.000 Mark im Jahr. Neben einer Aufnahmegebühr von 200 Mark müssen die „Stattauto“- Fahrer monatlich zehn Mark berappen. Hinzu kommt eine Einlage von 800 Mark, die bei Austritt zurückerstattet wird. Der Stundentarif liegt bei fünf Mark, in der Nacht von 0 Uhr bis 8 Uhr müssen männliche Mitglieder einen Pauschalbeitrag von acht Mark entrichten, Frauen fahren in dieser Zeit gratis.

Hunderttausende, die jetzt ein Auto besitzen, könnten in einer Stadt wie Berlin ihre Mobilitätsbedürfnisse problemlos mit der Karte von „Stattauto“ abdecken, sagt Alois Vedder, Verkehrsexperte von Greenpeace. Mit der Aktion wolle seine Organisation Zeichen setzen für die Weltklimakonferenz 1995 in Berlin, für die sich schon jetzt abzeichne, daß sie nicht über die vagen Formulierungen des Rio-Umweltgipfels hinauskommen wird: Bundesumweltminister Töpfer (CDU) hat kein „Protokoll“, also keine verbindliche Diskussionsgrundlage, vorgelegt.

Gerade vor diesem Hintergrund sei der Run auf „Stattauto“ als „Riesenerfolg“ zu werten, auch wenn nicht sicher sei, wie viele Interessenten letztendlich auf Dauer dabeibleiben: „Die Menschen sind nicht so verschlafen, wie die meisten Politiker denken.“ Schätzungsweise die Hälfte der Teilnehmer, meint Vedder, besitzt einen eigenen Pkw. Einige hätten sich schon nach den Einführungsseminaren von Greenpeace für die Abschaffung des eigenen „Klimakillers“ entschlossen. Dort wurden sie schonend darüber aufgeklärt, daß die 40 Millionen Autos in Deutschland im Schnitt nur eine Stunde täglich benutzt werden, die Auslastung bei „Stattauto“ mehr als dreimal höher liegt.

Auch bei Rolf Garster gab das den Ausschlag: „Car-sharing ist eine vernünftige Idee, Kohlendioxyd als die Hauptursache für den Treibhauseffekt zu reduzieren.“ Der frischgebackene Car-sharer wirbt jetzt auch im Bekanntenkreis für das Autoteilen. Viele bekämen „ein verdammt schlechtes Gewissen“ und große Augen, erzählt er, wenn er ihnen „höflich, aber bestimmt“ ins Gedächtnis rufe: „Deutsche Autofahrer verpesten mit jährlich 120 Millionen Tonnen Kohlendioxyd die Luft.“

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