Kelleriger Sound des Aufstands

25 Jahre Jazz-Keller Treptow. Das Zentralquartett swingt bei der dreitägigen Geburtstagsparty  ■ Von Christian Broecking

Im legendären Twistkeller des Kreiskulturhauses Treptow trafen sich vor 25 Jahren Musiker und Fans und gründeten einen ehrenamtlichen Jazzclub. Berliner Dixieland war zunächst die Art „Jazz zum Hören und Tanzen“, der in der damaligen HO-Gaststätte allfreitäglich gegeben wurde. Als im Zuge des Jazzbooms Mitte der siebziger Jahre dann zunehmend Zeitgenössisches und Freiimprovisiertes ins Angebot kamen, avancierte der Keller über Jahre gar zur prominenten Anlaufadresse für Jazzbegeisterte aus der gesamten Republik. In Treptow wurde DDR-Jazzgeschichte gemacht. In den Achtzigern versuchte man es neben Free Jazz auch mal mit Mainstreamnähe. Die Wende kam, und die Nachfrage ließ nach.

In den vergangenen Jahren schiffte dann die Jazzfront Berlin/ Brandenburg mit einem senatssubventionierten Programm den geschichtsträchtigen Keller am endgültigen Aus vorbei – bis der aus dem einstigen Jazzclub hervorgegangene Jazz-Keller 69 e.V. kürzlich wieder das Ruder übernahm. Unter dem traditionsbewußten Motto „Das lieben, was andere nicht mögen: Jazz der anderen Art“ will man an diesem Wochenende nun das 25jährige Bestehen des Jazz-Kellers Treptow feiern. Mit einer Big-Partysession und alten Freunden (heute, 22 Uhr) und einem abschließenden Frühschoppen mit den Dresdner Miles-Davis-Adepten, Code MD (Sonntag, 14 Uhr). Und als Geburtstagsclou gönnt man sich morgen (22 Uhr) das legendäre Zentralquarett, die Viererbande des DDR-Jazz, mit Ernst-Ludwig Petrowsky, Ulrich Gumpert, Conny Bauer und Günther „Baby“ Sommer.

Diese Band gilt als das Symbol jenes kellerigen Sounds des Aufstands made in GDR, den ehrbare Historiker vielleicht etwas zu schnell zur Tradition hochschrieben. Der Sound der Vorstadt und die Konferenzen, die Urzeit von Synopsis, dem Vorläufer des Zentralquartetts. Proben in Petrowskys Hütte am Berliner Stadtrand, um die Ecke der große Flughafen. Kompositorische Versuche und Diskussionen über Musik, man saß zusammen und konnte stundenlang quasseln. Aber eigene Jazztradition? Das hatte man so nie gewollt, heißt es heute, wenn die vier Basisdemokraten zurückblicken. Das Zentralquartett swingt. Heuer im 20. Jahr.

Petrowsky erinnert sich an 32 Takte Piepen, swingenden Groove und daran, daß er noch nicht mal nach Osten abhauen konnte – früher in den Sechzigern, als die Voice Of America aus Tanger nachts um eins Jazz in ostdeutsche Stuben sendete. Die DDR war jedenfalls sehr weit von der amerikanischen Quelle entfernt. Deshalb also diese furchtbare Zickigkeit und diese Wolga-Don-Swing-Klumpen zwischen plumpen Marschrhythmen und E-Musenstimmung. Vernachlässigungen, Entbehrungen und die vermeintliche Eigenständigkeit, die Theoretiker, die Euphorie, die Blähungen und die Bauchschmerzen. Bei den Orthodoxen war der Swing verboten – „Kindergarten!“, das sagt sich heute leichter. „Improvisierte Musik“, ergänzt Bauer, „und das Zentralquartett“, Basisdemokratie und auch die Verpflichtung dem Publikum gegenüber. Gedanken freilegen, politisches Denken. Haltung – Suggestion und Autosuggestion.

„Das Bluesige kommt von Gumpert“, sagt Bauer. „Der war schon immer 'n Fan von Blue-Note- Platten.“ Die Markowitz-Bluesband und die große Tradition der Adderley-Brüder. Markowitz, der schnoddrige Tatort-Bulle, der trunken in den ehemaligen Zonen des Nachmauer-Berlin fahndet. Der im ganz privaten Dreck wühlt und auf die Mattscheibe faltet, daß Geschichte Spuren hinterläßt. Narben, die sich eingraben. Wie 32 Takte Piepen. Lamprechts Rolle und Gumperts Musik. „Altersweisheit“, sagt Sommer, „innerer Drang“, sagt Petrowsky. Die Viererbande klingt wie ein großes Orchester mit mehreren Kontrabässen, das Geheimnis des riesigen Klangs wird nicht preisgegeben.

Exotenbonus? Hinter der West- Fassade sieht Petrowsky heute mafiöse Strukturen bröckeln. Was tun mit den großen Namen? Man spannt sie einzeln vor die Karren anderer, verheizt sie für irgendwelchen Old-School-New-School- Bluff oder sonstige zwielichtige Festivalgeschäfte. Zehnmal spielt das Zentralquartett heute etwa pro Jahr. Jeder hat eigene Projekte, jeder hält sich über Wasser, irgendwie. „Die wichtigsten Geschichten liefen, als es noch die DDR gab und wir reisen durften“, sagt Gumpert. In den Achtzigern, in Island: der Thrill, die Kicks. Und was blieb von der Tradition, was kam danach? Persönlicher Stil und Haltung. Underdogstatus, Billiggagen, Privatquartiere und Managerblues. Fax, Computer und Subventionsdschungel, der ganz normale Alltag irgendwie. Ein fieses kleines Welcome to the World of Jazz. Ernüchterung. Der Exotenbonus hatte nichts mit der Musik zu tun.

Vor zwanzig Jahren begannen sie als konsequente Improvisationsgruppe, erinnert sich Bauer. Dem großen Synopsis-Aufstand folgte das Formempfinden, dem Zentralquartett Ost folgte das Zentralquartett Wende. Das Zentralquartett heute klingt irgendwie befreit – nicht mehr so verbissen frei. Und das nicht nur, weil die Herren älter geworden, die Systeme begraben sind und mit ihnen die großen Theorien. Ob sich das Gesellschaftliche in der Musik niederschlägt? Well, da sind die vier Basisdemokraten verschiedener Ansicht.

Jazz-Keller 69 e.V. im Parkhaus Treptow, Puschkinallee 5.