Irgendwie richtig und von allem ein bißchen

■ Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diskutierte mit Gästen über Intellektuelle in der DDR

Der beste Satz fiel nach genau einer Stunde. „Ihr habt ja alle so recht!“ rief, mit Tucholsky, der Schriftsteller Günther Kunert in die versammelte Runde, und er war damit der erste und letzte an diesem Abend, der, wenn auch unfreiwillig, uneingeschränkt recht hatte. Zuvor hatten die anderen Gäste der Diskussion – Wolfgang Templin, der Sozialwissenschaftler Rainer Land und der Schriftsteller Jan Faktor – ihre Überlegungen zur Intelligenz und zu den Intellektuellen in der DDR thesenartig vorgetragen. Das, was sie sagten, war alles richtig – aber nur irgendwie. Und so bekam man als Zuhörer mit zunehmender Dauer der Veranstaltung das Gefühl, es war alles irgendwie auch nicht richtig. Von allem ein bißchen, und auch das schon mal gehört, irgendwo auch schon mal gelesen, kein Gedanke zum Festhalten.

Die Ursache für dieses Dilemma hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dankenswerterweise gleich auf ihrer Einladung mitgeliefert. Es war das Thema selbst. Diese dritte Podiumsdiskussion innerhalb ihrer Veranstaltungsreihe zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hatten die Bündnisgrünen so umfassend wie unscharf formuliert: „Die ,Intelligenz‘ und die Intellektuellen. Zur Rolle der geistigen Eliten in der DDR und den anderen kommunistischen Ländern Osteuropas. Ihr Verhältnis zur DDR-Opposition und der Bürgerbewegung. Der Verbleib der Eliten nach 1989. Ihre Bedeutung für die heutige politische und parlamentarische Arbeit von Bündnis 90/Die Grünen.“

Wolfgang Templin redete berechtigterweise lange über die Unschärfe der Begriffe „Intelligenz“ und „Intellektuelle“ – das taten ihm dann, mit dem gleichen Recht, alle anderen nach – und ging mit der Mehrheit der DDR-Intellektuellen hart ins Gericht. Jan Faktor, 1978 aus der ČSSR in die DDR gekommen, las einen interessanten, aber altbekannten Artikel vor, in dem er sehr genau die „linke Gläubigkeit“ der DDR-Intellektuellen beschreibt. Günther Kunert machte den ganzen Abend lang kluge und witzige Bemerkungen. („Viele Bücher hätte man in der DDR gar nicht verbieten müssen. In den siebziger Jahren habe ich in einem Berliner Buchladen Aldous Huxleys ,Schöne neue Welt‘ liegen sehen. Das hat kein Schwein gekauft, so groß war hier der Kulturbruch zur westlichen Moderne.“) Ganz am Ende der Veranstaltung gab's dann doch noch einen Höhepunkt. Rainer Land, 1989 an der Humboldt-Uni Mitglied einer wichtigen SED-Reformergruppe, bestand hartnäckig darauf, zwischen der DDR- und der individuellen Geschichte jedes einzelnen zu unterscheiden. Im Frühling 1968 sei er, ganz verliebt, in Prag gewesen und erschüttert worden durch den Einmarsch der sowjetischen Truppen. „Hätte ich mit 16 Jahren emigrieren sollen?“ fragte er einen älteren Herren, der meinte, nach dem Mauerbau 1961 sei ohnehin alles zu spät gewesen. Land habe sich also gefragt, ob er gerade das Ende des Systems miterlebt habe oder ob dieser Fehler korrigierbar sei. Er war von zweitem überzeugt und versuchte, zurück aus Prag, in seiner Lehre in einem landwirtschaftlichen Gut eine Selbstverwaltung aufzubauen, was erst funktionierte und dann zusammenbrach. „Da habe ich Philosophie studiert, weil ich wissen wollte, warum alles scheitert, was zunächst zu gelingen scheint.“ Danach hätte die Diskussion richtig beginnen können. Jens König