Ein Sparvorschlag, der keiner ist

Der Streit um das Landesschulamt: Immer noch ist nicht klar, ob eine Zentralbehörde wirklich Geld spart und verfassungsmäßig ist / Eltern werden unter der fehlenden Bürgernähe leiden  ■ Von Michaela Eck

Anna, Laura, Max, Benny und Luise sind Freunde. Jahrelang gingen sie zusammen in die gleiche Kita. Nach den Sommerferien begann dann mit der Schule der „Ernst des Lebens“. Die Umstellung auf den Schulalltag sei kein Problem, berichten die Eltern. Ein Vorteil sei sicher, daß sie zusammen in einer Klasse eingeschult werden konnten. Einfach war das allerdings nicht. Die Kids wohnen zwar im gleichen Bezirk, aber nicht alle im gleichen Einzugsbereich der Schule, die sich die Eltern ausgesucht hatten. Viele Gespräche zwischen Eltern, Schulleitung und Schulrat und jede Menge Überzeugungsarbeit waren notwendig, um letztendlich die Lösung zu finden. Die Hauptrolle in diesem Einschulungsstück hat nach Einschätzung der Eltern der Schulrat gespielt. Er habe sich mit den Schulleitern von zwei Grundschulen zusammengesetzt und einen Tausch arrangiert, so daß die fünf Freunde zusammen eingeschult werden konnten. Ob Einschulung, Schulwechsel, Ärger mit Lehrern oder Schulleitung – Schulräte suchen Lösungen, schlichten den Streit und koordinieren Wünsche und Bedürfnisse.

Mit einer zentralen Behörde wie dem Landesschulamt wären solche direkten und bürgernahen Problemlösungen gar nicht mehr möglich, kritisiert Gertraud Menzel vom Bezirksschulbeirat in Wilmersdorf die Pläne des Senats, zum 1. Januar 1995 ein zentrales Landesschulamt einzurichten. Pro Bezirk gebe es dann statt derzeit drei bis sechs Schulräte nur noch einen „Reiseschulrat“ mit festen Sprechstunden. Ein Schulrat im Bezirk hätte aber keinerlei Einfluß oder Entscheidungsmöglichkeiten mehr, er könne nur noch vertrösten, meint Erhard Laube, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

„Der Senatsbeschluß für ein Landesschulamt ist ein alter Traum der CDU und wurde schon zu Hanna-Renate Laurins Zeiten anvisiert. Damals war das Hauptargument die Zentralisierung und nicht das Sparen“, so Erhard Laube.

Zusammen mit der Unternehmensberatungsfirma Kienbaum aus Düsseldorf hat die Senatsschulverwaltung ein Positionspapier erarbeit, in dem detailliert vorgestellt wird, wie die Berliner Schule in Zukunft organisiert sein wird. Nach dem Ergebnis des 100.000 Mark teuren Gutachtens können mit dem geplanten Landesschulamt ein Viertel der Schulräte und jährlich 15 Millionen Mark eingespart werden. Statt 99 bezirklichen Schulräten und 61 Schulräten in der Hauptverwaltung wird es dann künftig nur noch dreißig in den Bezirken und neunzig bei der Senatsschulverwaltung geben.

Das Kienbaum-Gutachten schlägt vor, die einzelnen Schulen mit sehr viel mehr eigener Verantwortung auszustatten. Die Schulleiter sollen ihre Schule künftig nicht mehr nur pädagogisch, sondern auch als Manager mit betriebswirtschaftlichem Know-how führen. Dazu werden Fortbildungen und Lehrgänge angeboten, an deren Ende eine Prüfung steht. Die Bezirke werden dann hauptsächlich für die Schulbauten zuständig sein.

Das Landesschulamt soll sich auf die Schulaufsicht und die Unterrichtsversorgung konzentrieren. Bewerbungen und Einstellungen von LehrerInnen werden dann zentral und nicht mehr über die Bezirke abgewickelt. Und letztlich soll die Senatsverwaltung als vierte Säule die ministeriellen Aufgaben übernehmen.

Der Streit um die zentrale Behörde erhitzt seit Wochen die Gemüter. Nicht nur die Oppositionsparteien, der Rat der Bürgermeister und die Gewerkschaften von der GEW über die ÖTV bis hin zum DGB, sondern auch der Philologenverband, der Landesschulbeirat sowie die bezirklichen Gremien lehnen eine solche Behörde entschieden ab.

So positiv einzelne Ansätze seien, wie zum Beispiel die Schule mit mehr eigener Verantwortung auszustatten, so sehr wandele er sich in Verbindung mit dem Landesschulamt in ein „Trojanisches Pferd“, kritisiert die GEW. Mit der Errichtung des zentralen Landesschulamtes entfielen auch sämtliche bezirkliche Kontrollfunktionen, wie zum Beispiel der Bezirksschulbeirat. Dem Gremium fehle dann schlicht und ergreifend der Volksbildungsstadtrat als Ansprechpartner.

„Ohne Reibungsverlust können bildungspolitische Vorhaben von oben nach unten durchgestellt werden“, befürchtet Ellen Hansen, Schulleiterin der Werbellinsee- Grundschule. Der Einfluß einer Partei auf die Schul- und Bildungspolitik sei die große Gefahr, die eine solche Behörde in sich berge, glaubt Sybille Volkholz, Ex-Schulsenatorin und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Die politisch gemischte Zusammensetzung der Stadträte und den bezirklichen Mitbestimmungsgremien verhinderten, daß eine Partei von oben ihre Politik an die Schule durchstelle. Keine Partei dürfe auf die Schule direkten Zugriff haben. Selbst das Sparziel werde nicht erreicht, kritisiert die GEW. Durch den Abbau von 40 Schulratsstellen könne Schulsenator Klemann (CDU) nicht die angekündigten 15 Millionen Mark jährlich einsparen. Dafür aber macht der Abbau von 22 Frauenvertreterinnen und der 23 Personalräte in den Bezirken einen erheblichen Teil der Einsparsumme aus.

Noch steht die Entscheidung des Abgeordnetenhauses aus. Der Druck auf die SPD-Fraktion wird indessen immer größer. „Ich sehe nicht, daß die SPD-Fraktion mit dem Landesschulamt an den eigenen Gremien vorbeikommt“, so Dankward Brinksmeier (SPD), Volksbildungsstadtrat in Mitte.

Ovb es einen neuen Gesetzentwurf aus dem Hause Klemann gegen wird, ist offen. Nach Angaben der schulpolitischen Sprecherin und stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden, Petra Merkel, haben sich CDU und SPD inzwischen in einem Spitzengespäch auf wesentliche Änderungen im Gesetzentwurf geeinigt. So soll beispielsweise der Abbau von Personalvertretungen und demokratischer Mitbestimmungsrechte verhindert werden. Bei der CDU sieht man das anders.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Volker Liepelt, dementiert, daß Klemann einen neuen Gesetzentwurf vorlegen werde. Die SPD hätte lediglich in einem Katalog an Forderungen angemahnt, was sie gerne hätte. „In den wesentlichen Fragen gab es keine Einigung.“ Auch der Sprecher der Senatsschulverwaltung, Andreas Moegelin, sagte, „da gibt es nichts zurückzuziehen“. Die SPD hätte lediglich ihre Wünsche angemeldet.

Zur Zeit läßt die SPD durch den wissenschaftlichen Parlamentsdienst prüfen, ob die Errichtung eines Landesschulamtes verfassungsgemäß ist. Solange die Verfassungsmäßigkeit, ein nachgewiesener Sparbetrag von 10,5 Millionen Mark sowie der Erhalt der Personalvertretungen in den Bezirken im Entwurf nicht festgeschrieben sind, werde es keine Zustimmung zum Landesschulamt geben, versichert man bei der SPD.

Die GEW ist da schon weiter. Nach einem von der Gewerkschaft vorgelegten Gutachten ist die Errichtung eines zentralen Landesschulamtes verfassungswidrig. Der vorliegende Gesetzentwurf verstoße gegen Artikel 50 der Verfassung von Berlin, in dem der Grundsatz der bürgernahen Verwaltung Verfassungsrang habe. Ein Landesschulamt aber definiere die Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirke in Sachen Schule neu. Es sei nicht zwingend, daß die Hauptverwaltung die Aufgaben übernehme, die jetzt laut Verfassung Aufgabe der Bezirke sei.

Umstritten unter den Koalitionspartnern ist selbst die Frage, wer den Gesetzentwurf zum Landesschulamt ins Abgeordnetenhaus einbringt, ob der Senat oder die Fraktionen. Die SPD-Fraktion fordert: der Senat muß den Entwurf einbringen, weil dann nicht nur der Landesschulbeirat, sondern auch der Rat der Bürgermeister angehört werden muß. „Aus dieser Pflicht werden wir den Senat nicht entlassen“, so sagt Petra Merkel.

Ob die Behörde nun tatsächlich am 1.1. 1995 mit der Arbeit beginnen kann, ist zur Zeit mehr als fraglich. Denn die erforderlichen Gesetzesänderungen lassen sich nicht im „Schweinsgalopp“ durchs Abgeordnetenhaus pauken. „Das ganze Ding befindet sich jetzt schon auf der Zeitschleife“, sagte Dankward Brinksmeier.