Die Sucht nach Technics

Den Anfang machten die Les Humphries Singers, im Tresor legt sie lieber House-Musik auf: DJeusen in Berlin – Teil II: Maria Colours  ■ Von Annette Weber

Ohne Musik im Raum kann sie nicht lange bleiben. Dabei ist Maria Colours ein amerikanischer Hintergrundmusiksender lieber als die aktuelle Hitparade. Sie hat einen alten Dual-Plattenspieler bei sich zu Hause rumstehen, aber kein Doppeltapedeck, um ihre Produkte auf dem Cassettenmarkt vertreiben zu können. Frau Colours besitzt über 2.000 Platten, dabei hat sie den Punk-Anteil schon verkauft – als DJ braucht sie eben Platten. Zur Zeit kauft sie die House-Neuankömmlinge bei WOM auf, das kann sich aber wieder ändern, schließlich macht sie den Job der Plattenauflegerin schon seit elf Jahren, und da gab es schon eine Menge an Musikrichtungen, die sie gut fand. Vom Mädchen, das auf Parties den ganzen Abend an der Musikanlage steht, ist sie zur professionellen DJeuse geworden, die mit Parties ihren Lebensunterhalt bestreitet. Sie hat als richtige Musikerin bei der Band „Malaria“ begonnen und auch später noch mit ihrem damaligen Ehemann Musik gemacht. Ihr Übungsraum existiert noch, das Interesse am aktiven Musikmachen ging ihr jedoch vorübergehend verloren.

Sie selbst sitzt hochgewachsen da, schlank und mit sardonischen Zügen, eine Kreuzung aus Diamanda Galas und Madonna (die Heilige Mutter, nicht Ciccone). Mitunter lacht die Colours hell auf, wenn sie sich an früher erinnert, und man merkt ihr an, daß Musik einen Großteil ihres Lebens bestimmt, so selbstverständlich und vertraut, wie sie darüber spricht. Die meisten Clubs haben einen „Colours-Tag“.

Nachdem sie ihr Teenagerleben in Clubs verbracht hatte, nahm sie die musikalische Gestaltung ihrer Abende zuerst im „DNC“ in der Damaschkestraße in die Hand, dann in einem Club eines Freundes. Sie hat ihre eigenen Platten in den „Dschungel“ mitgebracht und bei Ermüdungserscheinungen der DJs den Plattenteller übernommen. Den ersten richtigen DJ-Job als Festanstellung aber bekam sie im „Blue Note“, einem Jazz-Club, wo sie ihre musikalischen Kenntnisse auf völlig anderem Terrain vervollkommnen konnte. Heute ist diese weite Streuung etwas, worauf sie stolz ist: eine der wenigen DJs zu sein, die fast alles auflegen können, die sich auf keine bestimmte Richtung spezialisiert haben. Es paßt zu ihrem Werdegang, der vom Disco und Independent im „Sox“, einem Programm je nach Tageslaune im Fischlabor bis zu House-Musik in „Tresor“, „Bunker“ und „Elektro“ reicht.

Maria Colours, im Augenblick gerade damit beschäftigt, ein Kind zu bekommen, hat keine Probleme mit der eigenen eklektizistischen Musikliebe: „Ist doch ganz klar, ich hab' ja auch ganz unterschiedliche Stimmungen, da suche ich mir auch unterschiedliche Klänge und Sounds aus. Wenn das jetzt gerade House ist, dann heißt das nicht, daß ich keine andere Platte kaufe. Es ist momentan nur mein Schwerpunkt beim Auflegen.“

Sie ist die Vertreterin einer DJ- Generation, die sich in ihrem Selbstverständnis weniger als KünstlerInnen, sondern mehr noch als DienstleisterInnen sahen. Anfang der Achtziger gab es die Auflegetechnik von heute nicht, ein Stück wurde ausgespielt, nicht mal gecuttet, geschweige denn gemischt. Daher rührt auch ihr pragmatischer, uneitler Umgang mit den Wünschen des Publikums und ihren eigenen Vorlieben; zu 60 Prozent spielt sie was sie hören will und hofft, daß es dem Publikum gefällt, der Rest sind Hits. Ihre Plattensammlerinnenmanie begann in der Grundschule mit dem Erwerb einer Les-Humphries-Singers-Platte und erfuhr eine kurze Unterbrechung durch die Heirat mit einem noch Sammelwütigeren, dessen Leidenschaft ihr dann zu weit ging, so daß sie erst einmal auf ihre eigene Obsession verzichtete.

Heute geht sie nur noch alle drei Wochen einkaufen, weil sie das stundenlange Durchwühlen der Regale langweilig findet. Bis zu 800 Mark im Monat gibt sie dabei trotzdem noch immer aus. Mit ihrem DJ-Dasein könnte Maria Colours nicht aufhören. Die Sucht nach dem Technics-Plattenspieler ist einfach zu groß.

Jetzt denkt sie daran, sich mehr auf Radio-Sessions zu konzentrieren – was ja auch einen Vorteil hat: Man kann ein Stück mit schlappen 60 Beats per Minute spielen, ohne daß die Leute auf der Tanzfläche meutern.