Odyssee in Odense

Eine Reisegeschichte, die im sexuell abgegrasten Hamburg begann, im erotischen Neuland der dänischen Insel Fünen münden sollte – und naturgemäß mangels ansehnlichen „Männermaterials“ scheitern mußte  ■ Von Alexander Heinz und Jan Feddersen

Als wir auf der Autobahn gen Norden an Flensburg vorbeifahren, hängt der Himmel noch voller Geigen. Aus dem Kassettenrecorder nölt Joy Fleming „Such deine andere Welt“. Was denn sonst: War Hamburg als sexuelles Jagdrevier für uns nicht ebenso leergeschossen wie die englische Grafschaft Kent von echten Hirschen? „Wir kennen Hamburg. Und – schauen wir den Tatsachen ins Gesicht – Hamburg kennt uns“, sagte der beste Busenfreund, Herr Heinz, noch Stunden zuvor, bangend, daß das Saturday Night Fever mangels – wie er gewohnt nüchtern bemerkt – „Männermaterials“ ausfallen könnte.

Herr Heinz, jung an Jahren, dafür um so reicher an Erfahrung, wußte mich zu fangen. Hatten wir nicht schon lange vor, einen, notfalls auch mehrere dänische Bäcker kennenzulernen, so blond wie Weizen und griffig wie Toastbrot, so stämmig wie Dirk Bach, mit dem Unterschied nur, daß nämlicher Traumprinz nicht Kölsch sprechen sollte, sondern Deutsch mit dem niedlichen Akzent der Vivi Bach: „Gehen ßie pitte ßurügg in Ihre Snecke“?

„So was gibt's nur in Dänemark“, bemerkte Herr Heinz schlau, dezent beim Kauen eines Croissants mitteilend, daß es in Dänemark die tollste Leberpastete gebe. Aber wo? In Kopenhagen? Danke nein. Großstadtelsen. Gefönt, geduscht, fern der Heimat und völlig verdorben – ohne Jungmännercharme jedenfalls. Esbjerg? Ein Dorf. Alborg? Ungewiß. Odense auf der Insel Fünen? „Landschaftlich besonders malerisch“, verhieß der Reiseführer, „hügelig und fruchtbar“ sei die Insel zudem.

Also Odense. 170.000 Einwohner. Der Ort, wo die Wikinger ihrem Gott Odin Opfer brachten. Nun wollen wir unser Opfer bringen. Odense – Geburtsort von Hans Christian Andersen, dem wie wir tragisch veranlagten Märchenerzähler („Die Prinzen auf der Erbse“, unterdrücktes Skript, nie veröffentlicht), der auch die Geschichte vom häßlichen Entlein erzählte, das dann später bekanntlich ein Schwan wurde ...

Mit großer Verve und 80 Stundenkilometern fahren wir Schwäne in die City von Odense, anderthalb Stunden hinter Flensburg. Inzwischen bricht die Dunkelheit herein, und Barbra Streisand kräht „I found new love“. Ein Hotel ist schnell gefunden – das beste Haus am Platze scheint gerade gut genug: „Grand Hotel“ prangt es fett in roten Lettern über dem Eingang. Der Portier – ein Dauerwellenwunder in Blond – macht Hoffnung. Mit scheinbar wissendem Blick überreicht er uns die Schlüssel für das Doppelzimmer.

Dieser flotte Mittzwanziger versteht unser Ansinnen auf Anhieb. Sein Lächeln bedeutet gewiß: Habt Mut, Mädels, draußen ist alles für euch angerichtet – Waidmannsheil! Sicherlich sind wir nicht die einzigen Gäste, die hier in dieser schönen Stadt am Wochenende auf die Pirsch gehen, auf der Suche nach der sexuellen Verheißung, die wir im heimatlichen Hamburg inzwischen so schmerzlich entbehren müssen. Nannte uns neulich nicht jemand „das doppelte Sonderangebot für alle Nächte“?

Gott sei Dank bleibt das Lächeln des Portiers diskret. Wir verstehen das. Man ist ja nicht zum ersten Mal im Ausland. „Auf gute Tips können wir verzichten“, bemerke ich in Richtung Herr Heinz, „wir haben ja unseren ,Spartacus Gay Guide‘.“ Die Bibel des mannmännlichen Sextourismus versorgt die Reisenden dieser Welt mit dem wertvollsten Gut, das ein echter Sextourist braucht: Adressen.

Ob Thailand, Sri Lanka oder Algerien – diese Schwarte von mehr als 1.000 Seiten zeigt dem gutbetuchten europäischen Bürger auch Wege, schöne Knaben käuflich zu erwerben. Doch wir wollen nicht die Dritte Welt entbuben. Hier in Dänemark ist Sex mit Einheimischen politisch korrekt, schwören wir uns, als wir durch die Gassen dieser Stadt hasten, die ein wenig vom Flair her an Husum oder Celle erinnert.

Und natürlich hat auch Odense seine Sparte im Gay Guide: zugegebenermaßen keine sehr große Auswahl. „Unsinn“, fegt Herr Heinz diese leise Kritik an der örtlichen Gastronomie vom Tisch, während wir die menschenleere Innenstadt von Odense durchqueren. „Wenn es hier weniger Läden gibt, dann sind die um so voller. Mit Bäckerburschen vollgestopft, die wie Kopenhagener aneinanderkleben.“

Also zum Provinsklubben. Allegade 71. Der Stadtplan lügt nicht: Wir liegen richtig. Vor uns ein wie abgebrannt wirkendes Haus. Wir gucken wahrscheinlich blöde wie dänische Kühe nach einstündigem Grasmalmen. Plötzlich: ein Passant. „Keine Ahnung“, sagt er mit schwerer Zunge, als ob er uns bestätigen möchte, daß in Dänemark am Wochenende doch sehr dem Alkohol zugesprochen wird. Eine Passantin in einem sehr schicken Kostüm weiß mehr: „Die haben geschlossen.“

Weiter, jetzt keine Zeit verlieren. Das „Pan Café und Disco“ soll laut Gay Guide von neun bis fünf Uhr früh geöffnet haben. Nichts anderes haben wir erwartet, wir sind hier in einer Großstadt, in der die Hefezöpfe auf den Tischen tanzen: all night long. Die Erfinder des Homoreiseführers haben einen Buchstabenschlüssel ersonnen, der klar kürzelt, was erwartet werden darf. „B D GLM“ bedeutet „Bar mit schwul-lesbischem Publikum“. Herr Heinz mault nur ein bißchen: „Leider kein R“. Der Buchstabe zwischen Q und S steht für „rauhes Publikum“. Odense gibt sich also soft.

Inzwischen sind wir einen Hügel hinaufgestiegen und wieder hinabgewandert und haben die Sct. Annegaden erreicht. Am Ziel: Hier tummelt sich nächtens alles, was auf Besuch aus Sonstwo gewartet hat. Wir sind angekommen und sind es doch nicht. Unter der Adresse sind nur Wohnhäuser zu finden. Kein Licht brennt: Halten die Jungs just zu dieser Zeit eine spiritistische Sitzung ab?

Odense schläft, und wir sind wach: Boys just want to have fun, verdammt noch mal. Mittelverbittert wird es Zeit, einen ersten Kriegsrat abzuhalten. Wie in schlechten Filmen gibt nun der Himmel unserer Misere Ausdruck – die Wolken ziehen sich zusammen, und ein warmer Regen geht auf uns nieder.

Herr Heinz, der seinem Kosenamen „Die Verhärmte“ allmählich körperlich nahekommt, zieht seinen letzten Trumpf aus der Tasche: War da nicht noch die Cruising Area mit dem Namen „Munke Mose“? Liebt man sich hier romantisch auf dem Moos? Wir wollen es wissen, und zwar sofort. Während wir den Hügel erneut erklimmen, regnet es sich ein. Gott ist gegen uns. Ein Desaster bahnt sich an. Kein Mann, nirgends, nur Büsche, tropfnasse Wiesen und Pfützen dort, wo Wege sein sollten. Unsere Klamotten sind naß. Ein Taxi muß her. Es kommt nach 20 Minuten. Der Fahrer, der dem Idealbild besagter Bäcker sehr nahekommt, aber Frau und Kind als Foto auf dem Armaturenbrett kleben hat, versteht nur Sex und fährt uns erst zum „Provinsklubben“, dann in eine Bar, die „dicke Titten“ und „heiße Miezen“ verspricht.

Nein danke. Auf einem Stück nahe des Marktplatzes ist eine weitere Cruising Area ausgewiesen, die sich als pompöser Parkplatz entpuppt. Eine Stunde nach Mitternacht. Zeit für ßnaps, viel ßnaps. Draußen läuft ein kleines Männlein: verkniffener, unterinteressiert verschleierter Blick, dezente Blicke zur Seite – ein Homo, wie er gewöhnlicher nicht sein könnte, so verhuscht und bedauernswert suchend. „Trostlos“, findet Herr Heinz müde, „das können wir auch zu Hause haben, so Notlösungen der Handelsklasse C.“

In einer Kneipe voller junger schöner Menschen, blond, dänisch, kompakt von Statur und bäuerlich anmutend. Innerhalb von einer Stunde schüttet Herr Heinz sechs Tuborg in sich hinein und ich fünf. Kapitulation auf der ganzen Linie. Wir beschließen, wieder beten zu lernen, und singen „Eine feste Burg“. An der Theke stürzt sich eine Horde lebenslustiger Däninnen auf uns, Vivi Bachs im Rudel sozusagen: „Ihr ßeid so ßüß“, trällert die eine, woraufhin wir Schnaps bestellen und angeschickert Richtung Hotel wanken.

The morning after: Herr Heinz beschließt, zwei Euroschecks zu verbraten, ich schließe mich heiter- resigniert dem Vorschlag an. Der Concierge lächelt immer noch. Das Frühstück ist ausgezeichnet, die Leberpastete auch. Hysterisch gackernd fahren wir nach Hause, bepackt mit Plunder der sinnvollsten Sorte, wie Gläser, Fußmatten und Kerzen nebst Aschenbechern, auf denen „Odense grüßt den Rest der Welt“ steht. Aus dem Radio höhnt Donna Summer mit „Hot Stuff“.

Montag darauf im Blumenladen, der von ziemlich taffen Lesben geführt wird. Lambert, unser feinsinniger Freund auf der Suche nach dem passenden Bouquet für seinen Liebsten („Für ihn soll's rote Rosen regnen“), hört sich mit mildem Ausdruck im Gesicht die Klage über Odense an. Maliziös spitzt er seine Lippen und fragt: „Dänen? Die tummeln sich in Flensburg, wenn sie was erleben wollen.“ Lächelt noch eine Spur spitzer und schenkt uns beiden zwei außerordentlich häßliche Gestecke aus Nelken und Gerbera.