■ Ökolumne: Hysterieexport Von Thomas Pampuch
Gift, so wußten unsere Chemielehrer, ist eine Frage der Konzentration. Wir sind von Giften umgeben, sie stecken in fast allen unseren Gebrauchsgegenständen (von der Luft, dem Wasser, den Lebensmitteln gar nicht zu reden). Und die Konzentration nimmt zu. Niemand würde sich einen Haufen von zermahlenen Autos, Fernsehern, Eisschränken oder Computern in den Hinterhof kippen. Wir wissen, daß sie aus allerlei Häufchen verschiedenster (auch giftiger) Materialien zusammengebastelt sind. Und wir wissen, daß es ihr Schicksal ist, wieder zu solchen Häufchen zu werden.
Aber gemahlen oder nicht – irgendwo muß das Zeug hin. Was machen wir mit den Stoffen, aus denen unsere Träume sind? „Entsorgung“, wie der besänftigende Euphemismus seit langem heißt, tut not. In den reichen (und „umweltbewußten“) Ländern hatFoto: Anette Huller
man sich in den
letzten Jahren – angeregt durch die alte Devise not in my backyard gern des Hinterhofes im Süden des Globus erinnert. Herausgekommen ist eine neue Variante in der an Schweinereien nicht eben armen Geschichte im Verhältnis der reichen Länder zu denen der Dritten und Vierten Welt: der Giftmüllexport.
Zu Recht gibt es Kampagnen gegen diese neue Form der Ausbeutung der armen Länder. Und es gibt fürchterliche Geschichten, welche Schäden an Mensch und Natur manche dieser Exporte angerichtet haben. Mit der Basler Giftmüllkonvention und der seit Mai bestehenden EU-Regelung für Müllexport sind immerhin erste Erfolge dieser Kampagne zu verzeichnen.
Doch Kampagnen können manchmal das Gegenteil dessen bewirken, was sie eigentlich wollen. Vor allem, wenn sie sich auf vorauseilende Empörung gründen. Fakten werden dann nicht mehr recherchiert, sondern im Sinne von Kampagnen frisiert. Auch Faxgeräte können Giftmüll produzieren.
Der sogenannte „Giftmüllskandal“ in Bolivien, über den auch wir berichtet haben, stimmt nachdenklich. Allzu schnell war da über verschiedene Agenturen Dramatisches getickert. Ein goldhaltiges Antimonkonzentrat war über deutsche Firmen in die Anden gelangt, wo ein Österreicher das Gold extrahieren wollte. Ein Streit der Gringos führte dazu, daß ihm das Zeug weggenommen und in einen Ort auf den windigen Altiplano gebracht wurde. Beim Transport dorthin gingen viele Säcke kaputt, und das Konzentrat wurde offen und somit unsachgemäß und gesundheitsgefährdend gelagert.
Sicher eine dumme und schlimme Geschichte. Doch was zu einer viel schlimmeren Gefährdung führte, war die daraufhin ausbrechende Hysterie, geschürt durch Gerüchte, durch die nationale und internationale Presse und leider auch durch wohlmeinende Umweltschützer. So wurde das Zeug nicht wieder auf schnellstem Wege ordentlich verpackt, sondern reiste wochenlang offen in Lastwagen und später in einem Geisterzug durch Bolivien. Niemand wollte es, überall gab es Demonstrationen, zum Teil wurde es wild in die Gegend geschüttet. Am Ende wurde eine Frau bei einer Demonstration erschossen.
Es war kein Gift, es war kein Müll, es war ein Rohstoff, so wie er seit Jahrhunderten andersherum über den Atlantik gekommen ist: zur Verarbeitung bei uns. Man kann darüber streiten, ob Bolivien geholfen ist, wenn dort (nachdem die eigenen Minen langsam versiegen) nun importierte Bergbauprodukte verarbeitet werden. Es gibt sicherlich Gesünderes.
Man darf auch berechtigte Zweifel haben, daß die ausländischen Unternehmen in Bolivien (und die Bolivianer selbst) immer alle ökologischen Standards einhalten. Gerade deshalb wäre eine kompetente und präzise Aufklärung dort wichtiger als Panikmache. Durch den künstlich aufgebauschten Skandal ist die Umweltbewegung in Bolivien in Mißkredit geraten. Das macht es den interessierten Kreisen der Minenindustrie nun leichter, die dringend notwendigen Verbesserungen beim Schutz der mineros und der Bevölkerung weiter hintanzustellen. Es gäbe genügend Ansätze für vernünftige ökologische Arbeit in Bolivien. Was das Land braucht, sind Know-how, saubere Technologien und Kontrollinstitutionen, auf die man sich verlassen kann. Mit Gerüchten – auch wenn sie noch so „aufklärerisch“ gemeint sind – wird Umweltbewußtsein nicht geschärft, sondern unterhöhlt. Auch Hysterieexport sollte verboten werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen