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Munteres Monopoly mit Staatsknete

■ Die Existenzkrise der Hamburger Stahlwerke wirft ein Schlaglicht auf die fröhliche Subventionspraxis der bundesdeutschen Industriepolitik Von Florian Marten

Besorgte Politiker ringen verzweifelt um Arbeitsplätze, die Staatstresore öffnen sich, Malocher krempeln die Ärmel auf, Gewerkschaften zeigen sich zu Zugeständnissen bereit, am Ende stehen Kompromisse. Der Ablauf von Stahlwerkskrisen liefert dem Tagesthemengucker Abwechslung allenfalls im Stil brasilianischer Telenovelas: schier unendliche, kaum unterscheidbare Variationen.

Hinter den Kulissen läuft derweil ein ganz anderes Spiel, das Stahl-Subvention-Monopoly. So eine Bank hätten alle gewöhnlichen Monopoly-Spieler gern: Ob die Landeskassen in Stuttgart, Potsdam, Hamburg, Hannover und Saarbrücken, die Bundeskasse in Bonn, die Brüsseler EU-Schatztruhen oder die schier unergründlichen Tresore der Treuhand in Berlin – sie alle stehen weit offen, wenn die Manager der westeuropäischen Stahlindustrie ihre munteren Spielchen wagen. Monopoly-Spiele enden gewöhnlich mit der Pleite jener Spieler, die dumm spielen oder Würfelpech haben. Im Stahl-Subventions-Monopoly läuft's anders: Hier ist die Pleite die Eintrittskarte zum Mitspielen. Je größer die Pleite, desto besser.

Der Hamburger Sozialdemokrat und Stahlmagnat Dr. Gerd Gustav Weiland ist im Konzert europäischer Stahlkapitäne zwar nur ein kleiner Fisch – sein Stil jedoch verrät den industriepolitischen Connaisseur. Stahlindustrieller wurde er als Konkursverwalter der Hamburger Stahlwerke im Jahr 1983. Mit Bürgschaften der Stadt (Zweck: Umgehung der EU-Richtlinien, die Subventionen zur Betriebsfortsetzung verbieten) übernahm Weiland das kleine, damals moderne Elektro-Stahlwerk im Hamburger Hafen, dessen Ansiedlung durch den badischen Stahlmagnaten Korf die Stadt schon viel Geld gekostet hatte. 1992, Stahlkrise II schlug zu, bediente der Senat die HSW erneut, stockte die Bürgschaften auf. Inzwischen bei knapp 200 Millionen Mark Stadtrisiko angelangt, sucht die Stadt derzeit verzweifelt einen Käufer.

Eine Zeitlang hofften die städtischen Unterhändler auf die Stahlwerke in Peine, ein Tochterunternehmen der Preussag. Die jedoch, geübt im Monopoly für Fortgeschrittene, benutzen die Verhandlungen mit Hamburg nur zur Erpressung der niedersächsischen Landesregierung. Wer Gerhard Schröder kennt, weiß, wie das Spiel ausgehen mußte: Hannover zahlte, Peine wird modernisiert. Etwas weiter in die Ferne schweifte der Betriebsrat der HSW. Er zog einen etwas zwielichtigen indischen Stahlindustriellen an Land, der seine britische Caparo-Gruppe um ein Hamburger Schnäppchen ergänzen wollte. Ein kurzer Besuch in den britischen Werken genügte – derartige Arbeitsbedingungen wollten sich die Hamburger Metaller denn doch nicht antun.

Bleiben die Badischen Stahlwerke (BSW), direkter HSW-Konkurrent und ebenfalls ein Überbleibsel aus dem früheren Korf-Imperium. Hier nun wittert Weiland, der den HSW-Verkauf an die BSW derzeit nach Aussagen des städtischen Unterhändlers Hans Fahning blockiert (gegenüber der taz wollte Weiland keine Stellung beziehen), Unrat. Die wahre Absicht der BSW sei es, wird gestreut, mit der HSW-Übernahme mittelfristig einen Konkurrenten loszuwerden. Mit im Spiel angeblich: Der Konkursverwalter von Saarstahl, dem enge Kontakte zu den BSW nachgesagt werden.

Weiland visioniert einen anderen Weg: Zusammen mit Peter Dietrich, derzeit noch Manager des städtischen Hafengroßbetriebes HHLA, und Wolf-Dietrich-Grosse (HSW-Chef) bildet er ein „Hamburger Konsortium“, welches sich – nach derzeitiger Insiderauffassung ohne jede Chance – Hoffnung auf den Zuschlag der Treuhand für die EKo-Stahlwerke in Brandenburg macht. In der Tat: Gegenüber den Treuhandmilliarden wären die Hamburger Senats-Bürgschaften bescheidene Peanuts. Weiland & Co (Peter Dietrich ist als brandenburgischer Stahlwerkschef vorgesehen) hoffen, dann endlich mal richtig in die Vollen gehen zu können. Die HSW, so versichern sie, wollten sie dann natürlich ebenfalls erhalten, weil diese, gestärkt durch die Partnerschaft mit dem brandenburgischen Riesen, endlich einen Mitspieler von Rang darstellten.

Marktwirtschaft? Kostendeckende Preise? Mehrung des Wohlstandes? Schutz von Umwelt und Arbeitsplätzen? Ökologischer Umbau der Industriegesellschaft? Aber nicht doch: In Europa gibt es gigantische Stahlüberkapazitäten, die nur durch Subventionen am Leben gehalten werden. Auf Dauer haben nur technisch moderne Betriebe (eine neue Generation von Mini-Stahlwerken für hohe Stahlqualitäten), am besten mit Standorten in Billig-Lohn- und Umwelt-Dumping-Ländern (Tschechien, Polen) eine Chance. Die Monopoly-Spieler und ihre Bankiers interessiert das alles wenig: Faites vos jeux, s'il vous plait.

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