Kultivierte Ekstase

■ Ein "Raveprojekt für Gesundheit, Kultur und Arbeit" gibt in einer Broschüre Tips für einen gepflegten und gesundheitsverträglichen Umgang mit Partydrogen

Absturzgeschichten, „Crashdown beim Dauertanz“, miese Trips, „schlecht drauf sein mit Leuten, die eine langweilige Party haben“, und aschfahle Gesichter sind passé. „Spaß an Musik, Tanzen und Schwitzen, Abfahrt mit Partydrogen, gut drauf sein mit Leuten, die eine gute Party haben“, sind dagegen angesagt. Im Zuge von „R1“ und „Jever-Fun“ scheint man sich nun auch in der Technoszene auf gesunde Werte zu besinnen. Seit letztem Wochenende jedenfalls werden in sieben angesagten Berliner Raveläden 20.000 bunte, „erlebnisgruppenspezifisch konzipierte“ Safer-use-Broschüren zum gesundheitsverträglichen Gebrauch von Partydrogen verteilt.

Das von „Eve & Rave – Raveprojekte für Gesundheit, Kultur und Arbeit“ herausgegebene und von einigen Technoläden gesponserte hilfreiche Heftchen „gibt Tips zur gesundheitlichen Risikoreduktion und Schadensbegrenzung“ und empfiehlt „Safer-use-Praktiken im Zusammenhang von Partynachtleben, Dauertanzen und Drogenkonsum“.

Anders als die im allgemeinen ahnungslosen bis böswilligen staatlichen „Aufklärer“ sind die meisten der „12 bis 18“ Leute von „Eve & Rave“ durchaus kompetent: Die meisten von ihnen sind drogenerfahren. Einer von ihnen – der Soziologe Helmut Ahrens – kommt aus der Drogenberatung, die anderen sind ganz normale Raver. Kennengelernt haben sie sich auf Parties, bei denen „Love, Peace & Unity“ nicht nur bloße Worte waren, sondern „gelebte Utopien“. Und sie wollen „die ganz eigene Rauschkultur“ der Technoszene, bei der es nicht nur um Drogen geht, unterstützen. Wie verbreitet Drogen in der hiesigen Technoszene sind, wissen sie nicht, verweisen aber auf eine Repräsentativumfrage von 1991, nach der 500.000 Personen Erfahrungen mit dem Konsum synthetischer Rauschsubstanzen haben.

Gegen eine Antidrogenpropaganda, die den individuellen Erfahrungen der User hohn spricht, gegen eine Repressionspolitik, die für die Mehrzahl aller Drogentoten verantwortlich ist, setzen sie auf Akzeptanz. Die vorhandenen Probleme werden nicht geleugnet. Speed beispielsweise sei „eine Rauschsubstanz mit absolut auszehrender und zerstörender Wirkung auf deine Gesundheit und Psyche“. Nur müsse man akzeptieren, daß „Drogen nun einmal zum modernen Erleben dazugehören“.

So legt man Usern einen bewußteren Umgang nahe, verweist auf Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen von Ecstasy, Speed, LSD, Kokain und gibt Tips für den Fall schlechter Trips.

Die staatsanwaltlich abgesicherte Broschüre, die in ähnlicher Form auch in Frankfurt kursierte, verfolgt eine „Unterbrecherstrategie“. User sollen sich eigene Verträglichkeitskonzepte zur „Kultivierung eines verträglichen Ekstaseerlebens“ erarbeiten, denn erst „die Dosis macht ein Gift zu einem Gift“. Für den einen mag das heißen, den Konsum doch lieber ganz zu lassen, für den anderen, lieber in großen Abständen Drogen zu nehmen. „Laß den E-(Ecstasy-)Film nicht zur Routine werden.“ Ständig Weihnachten bringt schließlich auch keinen Spaß, und außerdem produziert der eigene Körper ja auch – ganz legal – beim Dauertanzen unter Reizüberflutung die eine oder andere Droge.

Die Leute von „Eve & Rave“ beschränken sich nicht aufs Broschürenverteilen. In kleinen weißen Zelten am Rande des Tanzgeschehens stehen sie allen Interessierten als Ansprechpartner zur Verfügung und verteilen freundlich Calciumdrinks und Pfirsiche. Zunächst hätten ihre Adressaten skeptisch geguckt, erzählt Volker Selke. Dann wäre es ganz gut gelaufen. Besonders viele Absturzgefährdete hätten zwar keinen Rat gesucht: „Nur einer, der hatte zwei E genommen und wußte gar nicht, was das ist.“ Doch die Broschüre kam gut an. „Es war ganz witzig, daß plötzlich so viele Leute in einer Diskothek saßen und lasen.“

Den Leuten von „Eve & Rave“ geht es nicht nur um Drogen. „Wir führen Kreativworkshops durch und lernen unsere Selbstverwirklichungsbedürfnisse kennen.“ – „Wir initiieren technotechnisch vermittelte Kulturprojekte (...), weil wir durch die Erlebnisqualität des Phantasierens und des Kreativwerdens unsere Gedanken und Gefühle, für die wir oft keine Sprache haben, so am besten ausdrücken können.“ – „Wir spielen mit unseren Ideen, entdecken das Kind in uns und werfen unsere Phantasies in den Raum. Auf dem Dancefloor betreiben wir Futurework.“ Auch „die Selbstversenkung im Unbehausten unseres Seelenkörpers“ wird thematisiert. Dies alles steht so in der Selbstdarstellung von „Eve & Rave“.

Auf der Suche nach neuen „Wegweisungen“ in der „Nanosekundenkultur“ träumt man von Infotelefonen, Stationen fürs gepflegte Chill-out vor dem Zubettgehen, von Job- und Wohnungsvermittlungen für Raver, von Musikstudios und gar einem „Twin-Planet“, einer „Raverranch für Gesundheit, Kreativität und Arbeit“ im Brandenburgischen. Allein an Geld und geeigneten Räume fehlt es. So ist „vieles, was wir gegenwärtig denken und tun, noch Entwurf und keine sinnlich-konkret erfaßbare Praxis.“ Detlef Kuhlbrodt