Bürokraten verschleppen Taschengeld-Zahlung

■ Abschiebehäftlinge warten trotz Gerichtsentscheidung wochenlang auf ihr Geld

Das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben nimmt Richtersprüche zugunsten von Abschiebehäftlingen auf die leichte Schulter. Einstweilige gerichtliche Anordnungen werden nur im gedrosselten Schneckentempo befolgt: Insassen des Tiergartener Abschiebegewahrsams, denen das Verwaltungsgericht Berlin in Beschlüssen vom Juli und August 1994 ein monatliches Taschengeld in Höhe von 80 Mark zugesprochen hat, erhalten das Geld vom Landesamt nach Informationen der taz erst nach wochenlangem bürokratischem Hürdenlauf. Ein Algerier, dessen Eilantrag die Verwaltungsrichter am 10. August stattgaben, hat die 80 Mark zum Beispiel erst vor etwa 14 Tagen bekommen. Zuvor hätten Sachbearbeiter des Amtes alle Register bürokratischer Verzögerungstaktik gezogen, klagt Imke Juretzka von der „Initiative gegen Abschiebehaft“. Als Reaktion auf mehrere Zahlungsaufforderungen Juretzkas, die den Algerier betreut, wurde dem Mann am 25. August ein Formular für einen Antrag auf Sozialhilfe zugeschickt. Der Antrag, schrieb das Amt dem sprach- und rechtsunkundigen Häftling, sei von einer bevollmächtigten Person persönlich abzugeben. Dort schließlich wurde der Rechtsreferendarin Juretzka beschieden, nun müsse „erst mal alles durchgeprüft“ werden. Erst nach Protesten rangen sich die Apparatschiks zur Postanweisung durch. „Ohne Hilfe von außen“, meint Juretzka, „hätte er immer noch keinen Pfennig.“

In anderen Fällen wurden Häftlinge an Bezirkssozialämter verwiesen, einem rieten die Beamten gar, sich doch vertrauensvoll an Chemnitzer Behörden zu wenden. Bei einem weiteren Gefangenen machten sie das Jugendamt als zahlungspflichtige Stelle aus. Offenbar wird die Zahlung in dem Wissen verschleppt, daß die Betroffenen jederzeit abgeschoben werden können.

Dabei haben die Verwaltungsrichter in ihren Beschlüssen eindeutig das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben zur Zahlung verpflichtet. Erstmals geschah das durch die achte Kammer am 27. Juli per einstweilige Anordnung. Das Landesamt mußte einem Abschiebehäftling „zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens“ umgehend das im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschriebene Taschengeld gewähren. Aus dem halben Dutzend weiterer Urteile, die inzwischen zugunsten von Abschiebehäftlingen ergangen sind, folgerten die Behörden immerhin, daß das Geld Abschiebehäftlingen generell gewährt werden muß.

Doch das kann lange dauern. Denn seit August streiten sich die Stellen munter und ganz ohne Eile darüber, ob das Landesamt, der Polizeipräsident oder vielleicht auch das Tiergartener Sozialamt mit dem Geld für die rund 170 Abschiebehäftlinge herausrücken muß. Ein geradezu lächerliches Gezänk um einen Posten von rund 14.000 Mark im Monat und 168.000 Mark im Jahr. Zum Vergleich: Für eine neue Ampelanlage an einer Berliner Straßenkreuzung müssen rund 250.000 Mark lockergemacht werden.

Mit dem ständigen Aufschieben wollten die Behörden nur Zeit gewinnen, mithin also schlicht Geld sparen, vermutet Ismail Kosan, ausländerpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er will in der heutigen Sitzung des Ausländerausschusses einen Antrag auf Gewährung des Taschengeldes an Ausländer in Abschiebehaft einbringen. Danach soll die Sozialverwaltung, die für die Gewährung zuständig sei, die Zentrale Leistungsstelle für Asylbewerber anweisen, in der Haftanstalt täglich Anträge entgegenzunehmen und Geld auszuzahlen.

Inzwischen hat Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) nach regem, aber ergebnislosem Schriftverkehr Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) um Amtshilfe gebeten. „Die Antwort“, räumt Stahmers Sprecherin Rita Hermanns ein, „steht allerdings noch aus.“ Frank Kempe