Zwei Fragen aus Anlaß der Buchmesse: Warum weigert sich die Lufthansa, Rushdie zu befördern, und woher weiß Kinkel besser, was für Rushdie gut ist, als dieser selbst? Von Wolfgang Gast und Thierry Chervel

Die Feigheit der Kraniche

Die Lufthansa erklärt sich selbst für unfähig, die Sicherheit ihrer Passagiere zu gewährleisten. Diesen Schluß legen Informationen nahe, die der taz jetzt von Günter Wallraff, der Bundestagsabgeordneten Thea Bock (SPD) und dem Rushdie-Unterstützerkomitee „Article 19“ gegeben worden sind. Fünfeinhalb Jahre nach dem Mordaufruf des Ayatollah Khomeini sieht sich die Lufthansa außerstande, Salman Rushdie zu transportieren, weil sie – trotz der Erfahrungen Rushdies und seiner Unterstützer aus ihren Reisen – die Gefahr für zu groß hält.

Dreimal ist Rushdie seit 1992 nach Deutschland gekommen, dreimal wurde die Lufthansa um Mithilfe gebeten, dreimal lehnte sie ab.

Thea Bock lud Rushdie zu seiner ersten Deutschlandreise im Oktober 1992 ein, Rushdie besuchte den Bundestag und sprach unter anderen mit Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und mit Björn Engholm. Er mußte mit einem Privatjet kommen, den der Stern gegen ein Interview gechartert hatte. Bocks Büro hatte zuvor mit mehreren Airlines verhandelt, um die Frage der Beförderung zu klären. „Sowohl die British Airways als auch die Lufthansa haben sich geweigert“, erzählt Thea Bock, „beide haben ihre Ablehnung mit Sicherheitsbedenken begründet.“

Günter Wallraff organisierte die beiden folgenden Deutschlandreisen Rushdies, sein Treffen mit dem türkischen Schriftsteller Aziz Nesin im August 1993 und sein Treffen mit Außenminister Kinkel vier Monate später.

„Zweimal hatten wir das Problem“, sagt Günter Wallraff, „ich habe alles versucht, mit Engelszungen, mit Druck, mit Drohungen, das öffentlich zu machen.“ Nicht einmal die Intervention Johannes Raus, der im Aufsichtsrat der damals noch mehrheitlich bundeseigenen Lufthansa saß, hat etwas bewirkt. Wallraff betont, daß die Geheimhaltung sichergestellt war und man den Reiseweg auch post festum nicht bekanntgegeben hätte. „Es ging über Wochen. Bis zuletzt hoffte man, daß Rushdie befördert würde. Es gibt ja Möglichkeiten, ihn nicht im Passagierraum zu befördern, in einer Frachtmaschine. Aber auch das wurde strikt abgelehnt.“ Und zwar von allerhöchster Ebene: „Der Sprecher ließ immer ausrichten, daß es sich um eine Entscheidung des Vorstands handelt. Jürgen Weber hieß der Vorstandsvorsitzende.“

Nachfragen der taz wehrt Lufthansa-Sprecher Peter Höbel mit dem Hinweis auf den Datenschutz ab: „Wir geben über Passagiere, die mit uns reisen oder auch nicht reisen, keine Auskünfte.“ Aber „unabhängig von einem konkreten Fall“ erklärt Höbel: „Wenn eine im höchsten Grade sicherheitsgefährdete Person sozusagen eine öffentliche Veranstaltung macht und damit geradezu Gefahren provoziert, dann ist jede Fluggesellschaft verpflichtet, diese Gefahren abzuwenden.“ Das ist ein krasser Widerspruch zu Wallraffs Aussagen und Rushdies bisheriger Reisepraxis: Niemals hat er seine Reiseabsichten im vorhinein kundgetan, und stets wurden seine Reisewege, falls es nötig war, auch im nachhinein geheimgehalten. Das gilt etwa dann, wenn Rushdie mit Airlines fliegt, die ihn zwar transportieren, aber nicht beim Namen genannt werden wollen. Nur eine einzige Gesellschaft, die Air France, hat bisher öffentlich erklärt, daß sie ihre Beförderungspflicht auch gegenüber Rushdie zu erfüllen gedenkt. Für die Lufthansa fällt Salman Rushdie dagegen in die Kategorie der Pestkranken. Es könne auch vorkommen, sagt Höbel, „daß wir Passagiere mit ansteckenden oder gefährlichen Krankheiten ablehnen, je nach Lage der Dinge.“ Und „es kann sich keine Fluggesellschaft dieser Welt leisten, Sicherheitsrisiken wissend an Bord zu nehmen. Im übrigen tun das andere Fluggesellschaften genauso.“

Die Lufthansa weiß sich da mit den British Airways einig, deren Weigerung, ihn zu transportieren, Rushdie im Oktober 1993 öffentlich machte. Rushdie befürchtete damals, daß die British Airways sonst noch andere Gesellschaften in ihrem Sinne beeinflussen könnten. Tatsächlich gibt es dafür Indizien: In einem Brief an „Article 19“ schrieben die British Airways, schließlich weigere sich auch die Airline Virgin Atlantic, Rushdie zu transportieren – „Article 19“ hatte Virgin Atlantic nie um ihre Mithilfe gebeten. Die Weigerung der British Airways löste in Großbritannien im letzten Oktober Empörung aus. „Ich protestierte in der schärfstmöglichen Weise“, schrieb etwa das Oberhausmitglied Lord Beaumont of Whitley an die British Airways. „Sie verbünden sich mit den Feinden der Redefreiheit und mit den Terroristen, die sich auf die Rückgratlosigkeit von Firmen wie der Ihren stützen, um das Böse zu verbreiten.“ Dies schreibe er, obwohl er „keine besondere Zuneigung für Rushdie oder seine Bücher“ hege. Und schließlich: „Wenn es ähnliche Drohungen gegen die königliche Familie gäbe, würden Sie sich dann ebenfalls weigern, sie zu transportieren?“ Noch deutlichere Worte fand der Lyriker und Essayist James Fenton im Independent: „Dear Britsh Airways, you stink.“

Auch Premierminister John Major und sein Außenminister Douglas Hurd fühlten bei den British Airways vor. Sie befürworten Rushdies Reisetätigkeit und halten nach Konsultation ihrer Geheimdienste einen Transport Rushdies durch die British Airways für unbedenklich. Der gleichen Ansicht ist Rushdies eigener, vom britischen Staat gestellter Sicherheitsdienst. Die British Airways antworten in Standardbriefen: „Eine Beförderung Mr. Rushdies würde ein Risiko für unsere Passagiere und Besatzungen darstellen, das wir ihnen nicht zumuten wollen.“

Kann es sein, daß die beiden Airlines recht haben und es zu gefährlich wäre, Rushdie in Linienmaschinen zu befördern? In diesem Fall müßten sich die Reisenden allerdings jedesmal Sorgen machen, wenn eine vergleichbar gefährdete Person an Bord wäre. Denn mit der gleichen Begründung könnte die Lufthansa etwa den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Wolfgang Röller, von der Beförderung ausschließen, unter dessen Ägide die Lufthansa gerade endgültig privatisiert wurde. Schließlich wurde schon sein Vorgänger, Jürgen Ponto, von RAF-Terroristen ermordet.

Salman Rushdie, Thea Bock und Günter Wallraff vermuten darum weit eher wirtschaftliche und politische Motive als Grund für die Weigerung. Ob die British Airways vielleicht nur ihre Einnahmen aus der Teheran-Linie schützen wolle, fragte Salman Rushdie in seiner öffentlichen Erklärung zu der Sache im Oktober des vergangenen Jahres. Thea Bock kann sich erinnern, daß bei den Gesprächen mit British Airways und Lufthansa „auch so etwas gefallen ist: Na ja, wir fliegen ja auch den Iran und andere islamische Staaten an.“ Da sei das Flugbenzin so billig.