Größtes Labor der Welt

■ Bausenator Nagel (SPD) verteidigt Großprojekte / Keine schwarzen Listen für Architekten / Pessimismus unnötig

Allen Unkenrufen zum Trotz, in der Berliner Mitte entstünden langweilige Architekturbuletten für Büros- und Dienstleistungskästen, setzt Bausenator Wolfgang Nagel weiter auf die Linie seines Baudirektors Hans Stimmann. Architekturen, die sich gegenüber gewachsenen Strukturen „dominant“ herausheben wollten, hätten in der Stadtplanung keine Chance, sagte Nagel gestern bei einer „Zwischenbilanz“ der Bauvorhaben im Zentrum Berlins. Ein Entwurf wie das 120 Meter hohe Turmhaus- Projekt des amerikanischen Architekten Peter Eisenman für das einstige Max-Reinhardt-Areal „Am Zirkus 1“ – in der Nachbarschaft des Brecht-Theaters – verstoße gegen die Prinzipien der „Kritischen Rekonstruktion“ und den Anspruch, Neubauten in das städtebauliche Umfeld einzupassen.

Eine Beschränkung für moderne Architekturrichtungen und internationale Beteiligungen von Baumeistern sieht Nagel dabei nicht. „Unsere Stadt ist derzeit das größte Architekturlabor der Welt“, so Nagel. Es gäbe derzeit keinen anderen Ort als Berlin mit einem derart breiten Spektrum von nationalen und internationalen Architekten. Fast 150 verschiedene Teams aus elf Ländern arbeiteten in der Stadt. Davon kämen 90 Architekten allein aus Berlin. Der Vorwurf, etwa von Hardt Waltherr Hämer oder Dieter Hoffmann- Axthelm, die Auswahlpolitik („schwarze Liste“) des Senatsbaudirektors für Wettbewerbe und Neubaumaßnahmen sei engstirnig und konzentriere sich auf „drei, vier bekannte Namen“, sei darum falsch. Als Beispiel führte Nagel die „Top-ten“ unter den Berlin- Architekten an: Helmut Jahn (Chicago) plant sieben, Schweger (Hamburg) baut fünf Projekte. Es folgen die Architekten Hans Kollhoff (Berlin), Renzo Piano (Mailand), Richard Rogers (London), Josef Paul Kleihues und Jürgen Sawade (Berlin) mit zwei und vier Bauvorhaben. Mit ihrer Hilfe sei die Mitte zum Ort sich drehender Kräne avanciert. Nagel: „Hier entsteht wieder die Identität Berlins.“

Nagel wies auch die Kritik zurück, die laufenden Büroplanungen produzierten einen Leerstand im großen Stil. Michaele Schreyer (Bündnis 90/Die Grünen) hatte dem Senat wiederholt vorgehalten, mit einer zügellosen Baupolitik Berlin zur Hauptstadt des Leerstands zu machen, statt über neue Entwicklungsstrategien nachzudenken.

Nach Angaben des Bausenators betragen die Investitionen für neue Büro- und Geschäftshäuser allein entlang der Friedrichstraße rund sechs Milliarden Mark. Insgesamt befänden sich dort über 800.000 Quadratmeter Brottogeschoßfläche im Bau. Schwerpunkte bildeten „Großprojekte“ wie die Friedrichstadtpassagen, das Kontorhaus Mitte oder das Business- Center am Checkpoint Charlie. „Auf dem Sprung“ befänden sich auch die Bauten am Potsdamer Platz mit zusätzlichen 550.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche. Nagel räumte ein, daß „vier, fünf“ große Bauvorhaben geplatzt seien, darunter am Klingelhöfer Dreieck und am Alexanderplatz.

Angesichts des Investitionsbooms, beschwor der Bausenator, bestehe „kein Anlaß zu Pessimismus und Larmoyanz“. Gemessen an anderen Städten habe Berlin einen erheblichen Nachholbedarf. So habe Frankfurt/Main die vierfache Bürofläche pro Einwohner wie Berlin. Nagel gab aber zu, daß die Lage auf dem Immobilenmarkt zu zeitweiligen Engpässen und Fehleinschätzungen „und damit zu Krisen einzelner Projekte“ geführt habe. Das Konzept einer „kleinteiligeren Bebauung“ könne die Folgen wirtschaftlicher Pleiten minimalisieren.

Nagel warf dem Koalitionspartner CDU vor, sich statt notwendiger Debatten über Strategien der Hauptstadtentwicklung „mit Kleckerkram“ zu befassen. In vielen Bereichen seien die zuständigen Senatsverwaltungen unfähig, ihr provinzielles Handeln zu erkennen. Das brächte Berlin dann Bezeichnungen wie „Posemuckel“ (Edzard Reuter) ein. Rolf Lautenschläger