■ Endlich: Eine Politikerpose wird besichtigt
: Händewaschen im Applausvollbad

Düsseldorf (taz) – Unwahr ist, daß unsere Politiker nur schnödes Geld entgegennehmen. Wahr ist vielmehr: Sie nehmen auch gern Ovationen entgegen. Da das gemeine Volk zur Undankbarkeit neigt, ereignen sich solche Applausvollbäder vorzugsweise in der geschlossenen Gesellschaft von Parteitagen. Ein paar markige Worte an die Adresse des Gegners, ein bombiges Abstimmungsergebnis für den jeweiligen Mann der Stunde, und schon brandet demonstrative Begeisterung auf. Wie nun zum Vaterunser das Amen, so gehört zur Ovation eine bestimmte Pose: Der umjubelte Leader reckt die Arme empor, halb Sieger im Boxring, halb Seid-umschlungen- Millionen. Doch hier beginnen die Feinheiten, entfaltet sich Körpersprache in ihrem ganzen Reichtum an Dialektik und Dialekten.

Angeregt durch ein Pressefoto, auf dem ein glückloser CDU-Politiker aus dem Rheinland in liebenswert verrutschter Siegerpose porträtiert ist – wenn's alle tun, probier ich's jetzt auch mal, scheint er gerade zu denken –, machte sich der Düsseldorfer Künstler und Galerist Manfred Spies auf die systematische Suche. Er durchforstete bei der dpa beängstigende Mengen von Politikerfotos und stieß dabei wieder und wieder auf das Ritual der erhobenen Hände. Einige Dutzend der schönsten Variationen zum Thema „Hände Hoch“ können derzeit in der örtlichen Kneipengalerie „Tannenbaum“ studiert werden (bis zum 16.10.).

Das Panoptikum reicht bis in die siebziger Jahre zurück. F.-J. Strauß scheint mit seinen Händen die Länge von einem Meter Weißwurst zu veranschaulichen, neben ihm applaudieren Kohl (mit Kassengestell) und Carstens. Letzterer posiert bei anderer Gelegenheit selbst nach Gutsherrenart, Hände maßvoll in Kopfhöhe, Handkanten nach vorn. Geißler zeigt anno '81 seine Handflächen wie ein Zauberkünstler vor, dem gerade ein toller Verschwindetrick gelungen ist, während Graf Lambsdorff eher auf die unbefleckte Reinheit seiner Hände zu verweisen scheint. Sein Kollege Kinkel läßt sich als frischgebackener FDP-Führer '91 einerseits weidlich feiern, deutet andererseits eine abwiegelnde Geste an. Eine verzückte Irmgard Schwaetzer neben ihm heizt das Fußvolk dennoch weiter an.

Dann gibt es einen netten Wehner, der den Applaus entgegennimmt, ohne vom Kaffeebecher zu lassen, und einen Engholm, der Pfeife und Feuerzeug in den Fingern behält und furchtbar neckisch tut. Rau ist ganz der pastorale Landesvater, wobei er von Kardinal Wojtyla alias Johannes Paul, der zu Vergleichszwecken danebenhängt, noch gewisse Feinheiten lernen könnte, etwa den dezenten Segenstouch in den Fingerspitzen.

Die Fotoschau zeigt ausschließlich Männer. Eine Politikerin in Triumphpose ließ sich schlicht nicht auftreiben – ein Befund, der die Verhaltensforscher interessieren sollte. Einer zumindest nimmt sich der Thematik an: der Düsseldorfer Psychologe und Verhaltensbiologe Lutz Jäncke, dessen Spezialgebiet der Vergleich von Mimik und Gestik bei Primaten und Menschen ist. In seiner Eröffnungsrede hob er auf mögliche genetische Ursachen bestimmter Verhaltensformen ab, erinnerte aber auch daran, daß das bei Affen verbreitete Imponiertrommeln auf der Brust in Politikerkreisen nicht mehr praktiziert wird.

Weitere Phänomene harren der Erforschung: Warum zum Beispiel findet sich unter den fotografierten Siegertypen kein einziger Politiker von Bündnis 90/Die Grünen? Und warum reckt auch Helmut Kohl nie so richtig die Arme? Mit mehr als einem gottgefälligen Händchenfalten in Stirnhöhe war er unter Hunderten seiner dpa-Konterfeis nicht dingfest zu machen. Olaf Cless