Wundersames Auftauchen eines gar nicht Verschwundenen

■ Aserbaidschan: Machtkampf von Präsident und Premier

Moskau (taz) – Etwa zwanzigtausend Einwohner von Baku strömten am Donnerstag nachmittag im Zentrum der Stadt zusammen und folgten vor der Kulisse von Panzern dem Aufruf ihres Präsidenten Gaidar Alijew, ihm ihre Loyalität zu demonstrieren. Der hatte am Dienstag einen sechzigtägigen Ausnahmezustand erklärt, nach einer Meuterei der Polizeisondereinheit OPON unter Führung des stellvertretenden Innenministers Rowschan Dschawadow. Am Mittwoch verschanzten sich die Meuterer in ihrem Hauptquartier. Kämpfe um den Flughafen der Stadt Gandja entschieden die Alijew-treuen Truppen vorerst für sich.

Noch am Mittwoch abend behauptete Alijew in einer dramatischen Fernsehsendung, sein Premierminister habe die Kämpfe in Gandja inszeniert und sei „verschwunden“. Mit einem Faustschlag auf den Tisch erklärte er, die Destabilisierung der Lage im Lande werde von „auswärtigen Kräften“ gesteuert. Gussejnow erzählte wenige Kilometer weiter der Presse, er beabsichtige keinerlei Umsturz: „ich bin nur Tee trinken gegangen und nirgendwohin verschwunden“. Die Situation in Aserbaidschan hatte sich seit dem 20. September zugespitzt, als Baku mit einem internationalen Konsortium britisch-holländisch-amerikanischer Firmen den sogenannten Vertrag von Gülistan schloß, um die beträchtlichen aserbaidschanischen Ölreserven im Schelf des Kaspischen Meeres zu erschließen. Die russische Führung hatte sich bereits vor den Kopf gestoßen gefühlt, als Alijew im Frühjahr für den Fall eines Friedens in Berg- Karabach ein russisches Peace- Corps für die Region ablehnte.

Durch den Vertrag von Gülistan wird der geopolitische Machtanspruch Rußlands zusätzlich geschmälert, da die geplanten Pipelines in den Westen unter Umgehung seines Territoriums durch die Türkei führen sollen. Wen Alijew mit den destabilisierenden „auswärtigen Kräften“ gemeint hat, ist also nicht schwer zu erraten. Auf der aserbaidschanischen Seite der Grenze werden die wertvollen Röhren durch Alijews Heimatprovinz Nachitschewan führen.

Da Klaninteressen in diesem Staate noch immer eine große Rolle spielen, muß dies die Häupter der Klans von Baku und Gandja verprellen. In letzter Zeit hatten sie zunehmend Unmut darüber geäußert, daß Alijew seine Heimatprovinz einseitig bevorzuge. Premier Gussejnow hat seine Hochburg in Gandja. Er gilt als einer der reichsten Männer Aserbaidschans und steht auf gutem Fuß mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Sowjet, Ajas Mutalibow. Weitere handfeste Auseinandersetzungen sind in naher Zukunft sicher. Barbara Kerneck