Was tut die Polizei gegen den Rassismus in ihren eigenen Reihen? Berlin ist zwar Klassenprimus in Deutschland, doch liegt es weit hinter dem zurück, was in den Niederlanden und in Großbritannien längst zum Standard gehört. Von Eberhard Seidel-Pielen

Das Risiko im Apparat bekämpfen

Die Berliner Polizei ist die weltoffenste der Republik. Ein Erfolg ihrer langjährigen Bemühungen, das Verständnis zwischen Zuwanderern und Polizei zu verbessern. Seit 1988 – Jahre bevor das Thema in anderen Bundesländern mit spitzen Fingern aufgegriffen wurde – wirbt die Polizeiführung offensiv um Heranwachsende aus Immigrantenfamilien. Der Erfolg: 1994 sind 350 der 21.000 Bediensteten der Berliner Polizei nicht deutscher Herkunft. Berlin beschäftigt damit mehr „Ausländer“ – die meisten von ihnen sind Doppelstaatler – als der gesamte Rest der Republik. Und bereits im Jahre 2030 könnte die ethnische Zusammensetzung der Berliner Polizei ein Spiegelbild der Bevölkerung sein – unterstellt, das bisherige Tempo der Rekrutierung aus den Minderheiten wird beibehalten. In Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und München wird das erst im 22. Jahrhundert der Fall sein, sollten sich dort die politischen Vorgaben nicht ändern.

Aber Berlins Polizei hat in den letzten Jahren noch mehr Beispielhaftes aufgebaut. „Ein Drittel unserer Ausbildung“, so der Leitende Polizeidirektor Jürgen Simon, „beschäftigt sich derzeit mit dem Thema ethnische, soziale und sexuelle Minderheiten.“ Der Besuch einer Gedenkstätte und des zentralen Aufnahmelagers für Asylbewerber ist verpflichtend; und wer möchte, der kann sein vierwöchiges Sozialpraktikum in einem Asylbewerberheim, in einer Wärmestube oder im Altersheim ableisten. Zudem stehen in der Polizeischule Fußballspiele zwischen Polizeianwärtern und Asylbewerbern ebenso auf dem Programm wie Begegnungen mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien.

Und in diesem Jahr setzte die Berliner Polizei in der Fortbildung zusätzlich einen Schwerpunkt auf das Thema Einwanderung. Jede Woche wird für rund 20 Beamte ein zweitägiges Seminar angeboten, das auf freiwilliger Basis besucht werden kann. Auf dem Programm stehen Migrationsgeschichte und Aufklärung über das Reizthema Ausländerkriminalität; die Botschaft, die dabei im Vordergrund steht, so erläutert Polizeihauptkommissar Klaus-Dieter Reichert, Koordinator für polizeiliche Anliegen ausländischer Mitbürger, lautet: Immigranten sind nicht krimineller als Deutsche!

Trotz aller Anstrengungen bleiben die Versuche, auf den interkulturellen Polizeialltag vorzubereiten, weit hinter den Erfordernissen zurück. Wenn jeder der 21.000 Polizisten das „Multi-Kulti-Seminar“ besuchen wollte, würde der einmalige Durchlauf – bei sofortigem Einstellungsstopp – zwanzig Jahre dauern.

Wo so viel guter Wille am Werk ist, reagiert man verständlicherweise unwirsch auf emotionalisierende und pauschalisierende Rassismusvorwürfe. „Ausländerfeindlichkeit unter jungen Polizisten gibt es nicht mehr“, ist sich der Leitende Polizeidirektor Jürgen Simon denn auch über den Erfolg seines Ausbildungskonzeptes sicher. Und Polizei-Pressesprecher Eberhardt Schultz stellte gegenüber der Presse klar, wie er sich eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus in der Polizei vorstellt: „Wer sich hinstellt und behauptet, ein Teil der Berliner Polizei sei ausländerfeindlich, der muß seine Behauptung auch belegen.“

Anders als ihre deutschen Kollegen, die von der Unschuldsvermutung ausgehen, nähert sich die niederländische Polizei dem Problem an. Sie wartet nicht, bis der Beweis des rassistischen Verhaltens des einzelnen Beamten erbracht ist, um das „schwarze Schaf“ aus der Herde der unbescholtenen Lämmer zu entfernen. Sie arbeitet bereits gegen das Risiko des Rassismus im Apparat an, indem sie sich in einem ersten, ebenso schlichten wie überzeugenden Gedankengang die mögliche Dimension des Problems vergegenwärtigt.

Michael P.M. Holtackers, Leiter des Polizeistudien-Zentrums Warnsveld, trug ihn kürzlich seinem verblüfften Publikum auf einer Tagung in Berlin vor: „Wir wissen aus Umfragen, daß rund ein Drittel der niederländischen Bevölkerung fremdenfeindliche Einstellungen besitzt, und wenn, wie immer behauptet, die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann müssen rund ein Drittel der Polizisten zumindest Ressentiments gegenüber Ausländern haben. Weil das so ist und die Polizei gleichzeitig Vertreterin des Gewaltmonopols des Staates ist, müssen wir besonders sensibel sein und bereits im Vorfeld darauf reagieren.“

Antirassistische Bildungsarbeit, Antidiskriminierungs-Training zur Gewaltprävention gegenüber ethnischen Minderheiten und Bemühungen, auch die personelle Zusammensetzung der Polizei zu einem echten Spiegelbild der niederländischen Bevölkerung zu machen, sind die Konsequenzen aus dieser Einsicht, die einer politischen Kultur entspringt, die sich grundsätzlich von derjenigen hierzulande unterscheidet. In Rotterdam ist man inzwischen dazu übergegangen, bevorzugt Angehörige ethnischer Minderheiten – Molukken, Indonesier, Chinesen, Surinamer – und Frauen in den Polizeidienst aufzunehmen. Bei der Untersuchung und Aufklärung der Vorwürfe polizeilicher Übergriffe werden – anders als in Deutschland – auch Vertreter von Minderheiten- und Menschenrechtsgruppen einbezogen mit dem Ergebnis, daß die Untersuchungsberichte auch dann auf breitere Akzeptanz stoßen, wenn sich der Vorwurf von Polizeiwillkür nicht bestätigt.

Die Bemühungen der niederländischen Polizei, rassistischen Tendenzen innerhalb der Polizei entgegenzutreten, gehen weit über das hinaus, was hierzulande – auch bei dem bundesdeutschen Klassenprimus Berlin – zum miserablen Standard der Vorbereitung eines Polizistenalltags in einer interkulturellen Gesellschaft gehört. Zwar wird bei vielen Aus- und Fortbildungsveranstaltungen das Thema Ausländer durchaus angesprochen, ein geschlossenes Konzept des Antidiskriminierungs- Trainings gibt es bis heute nicht. In Hamburg versucht man diese Defizite mit Crash-Kursen zu beheben. „Mit gezielten Informationen versuchen wir vor Einsätzen die Beamten für die jeweilige Problematik des Protestes – zum Beispiel von Roma und Sinti – zu sensibilisieren“, erläutert Rüdiger Bredthauser, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Landespolizeidirektion Hamburg. Die Probleme, die sich tagtäglich in den Einwandererquartieren stellen, sind damit allerdings noch nicht bewältigt.

Das waren sie in Großbritannien bis Anfang der achtziger Jahre ebenfalls nicht. Die Verantwortlichen zeigten sich erst nach den 81er-Krawallen von Brixton – die nach der Analyse des Richters Lord Scarmans „ein Ausbruch von Zorn und Groll junger Schwarzer auf die Polizei“ waren – lernfähig. Bis zu diesem Zeitpunkt reagierte die Polizei mit ihren traditionellen Methoden – massiver Einsatz von Sondereinheiten, dauernde Kontrollen, intensive Zivilstreifen und hartes Durchgreifen – auf die neuen Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft und den damit vermeintlich einhergehenden Kriminalitätssumpf. Ein Ansatz, der sich in Deutschland bis heute größter Popularität sicher sein kann und vor allem bei Jugendlichen aus Immigrantenfamilien den nicht ganz unbegründeten Eindruck hinterläßt, intensiver polizeilicher Überwachung ausgesetzt zu sein.

Heute absolviert jeder britische Polizeiausbilder ein sechswöchiges Antirassismus-Training und wohnt mindestens für ein Wochenende bei einer schwarzen Familie. (Begleiterscheinung dieser Maßnahmen: Schwarze gaben ihre anfänglichen großen Bedenken, Polizisten zu werden, auf.) Und alle in London eingestellten PolizistInnen müssen einen Lehrgang besuchen, bei dem sie sich eingehend mit Rassismus und Sexismus auseinandersetzen, in den multikulturellen Background Londons eingeführt werden und den unterschiedlichen Verhaltensweisen von Angehörigen ethnischer Minderheiten bei polizeilichen Maßnahmen große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Gleichzeitig hat man kulturspezifische Zugangshürden für die Aufnahme in den Polizeidienst abgebaut. So wurde die Größe, die britische Polizeibeamte aufweisen müssen, reduziert. Viele Pakistani, Inder und Chinesen fielen schlicht aufgrund ihrer Körpergröße durch den Eignungstest. Ähnlich ergeht es türkischstämmigen Polizeibewerbern in Berlin, die hier überdurchschnittlich häufig in den Eignungstests scheitern, weil sie schlechte Schwimmer sind.

Die in Großbritannien ergriffenen Maßnahmen bieten natürlich keine Gewähr, daß diese Erkenntnisse draußen auf der Straße auch angewendet werden oder gar der Korpsgeist damit durchbrochen wird. Rassismus unter Polizisten gibt es – wenngleich weniger als in der Vergangenheit – auch heute noch; was nur zeigt, welche Anstrengungen erforderlich sind, damit die Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft ihren Auftrag auch tatsächlich auf einer demokratischen Grundlage erfüllt. Wenig Anlaß zum Optimismus besteht in der Bundesrepublik. Die fragmentarischen Bemühungen einzelner Polizeien, den Herausforderungen gerecht zu werden, werden durch die politischen Vorgaben häufig konterkariert. „Wenn die Ausländerpolitik in der Bundesrepublik weiterhin als Gefahrenabwehr-Politik unter der Zuständigkeit von Innenministern und Senatoren betrieben wird, Ausländer eher als Sicherheitsrisiko und nicht als Bürger dieser Gesellschaft gesehen werden, bestimmt die stigmatisierende Sichtweise und dieses ungleiche Verhältnis weiterhin den Kontakt zwischen Angehörigen ethnischer Minderheiten und den Ordnungskräften“, ist sich Safter Çinar, Sprecher des Bundes der EinwanderInnen aus der Türkei in Berlin- Brandenburg, sicher.

Das Ergebnis beschreibt Mustafa Turgut Çakmakoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Berlin: „Es existiert ein tiefsitzendes Mißtrauen der in der Stadt lebenden Immigranten gegenüber der Polizei. Sie wird – jenseits der spektakulären Übergriffe – als staatliche Einrichtung wahrgenommen, die prinzipiell gegen Ausländer ist.“

Sollte sich dieser Eindruck verfestigen, so lehren zumindest die Beispiele aus Brixton und aus den Banlieues Frankreichs, sind Selbstjustiz, die Herausbildung autonomer Rechtsnormen und die spontane Rebellion die unausweichlichen Folgen.