„Ich habe doch nicht die Pest“

■ Salman Rushdie über die Weigerung der Lufthansa, ihn zu transportieren, und Europas Iranpolitik

taz: Das ist ja ein Durcheinander! Erst schreibt Ihnen das Auswärtige Amt, es sei nicht in Ihrem Interesse, die EU-Troika zu treffen, und dann beschließen die zwölf Minister des Außenministerrats auf Initiative von Klaus Kinkel, daß man Sie einladen soll.

Salman Rushdie: Na, vor allem ist es mal eine gute Nachricht, daß sie mich einladen. Wir, meine Unterstützer von „Article 19“ und ich, wollten schon seit längerer Zeit ein Treffen und haben auf verschiedenen Wegen angefragt. Ich glaube, es gab da ein bißchen Konfusion von beiden Seiten. Wir haben uns an Kinkel als Präsidenten des EU-Außenministerrats gewandt und haben die Antworten immer vom Auswärtigen Amt in Bonn bekommen – und die Briefe waren immer im Namen der deutschen Regierung, nicht der EU geschrieben. Wir hatten das Gefühl, keine Antwort von Europa zu bekommen.

Ist es nicht so, daß das Auswärtige Amt während der deutschen EU-Präsidentschaft für den EU-Ministerrat spricht?

So wird es wohl sein. Aber dann erstaunt es mich trotzdem, warum im Brief von letzter Woche steht, die deutsche Regierung glaubt nicht, daß ein Treffen zwischen der Troika und mir im Augenblick opportun sei. Das schien mir gegen Kinkels eigene Politik zu gehen. Aber – um wohlwollend zu sein – vielleicht war das alles ja nur ein Mißverständnis in einer unteren Etage des Ministeriums.

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es auch, es habe ja gar keinen Brief von Ihnen persönlich gegeben, man habe das gewissermaßen alles gar nicht gewußt.

Das akzeptiere ich nicht. Das Auswärtige Amt weiß sehr gut, daß ich sehr eng mit „Article 19“ und dem „International Committee for the Defence of Salman Rushdie“ zusammenarbeite. Alle Briefe an das Auswärtige Amt wurden von „Article 19“ geschrieben, und bei meinem Treffen mit Kinkel waren Carmel Bedford und Frances D'Souza anwesend, Kinkel kennt sie persönlich. Nein, das ist eine faule Ausrede. Aber wie auch immer: Ich habe in dieser Geschichte gelernt, nach vorne zu blicken, statt mich mit Schuldzuweisungen zu beschäftigen. Um so besser, wenn jetzt alle Seiten die Idee eines Treffens befürworten. Ich hatte nach dem Brief ein bißchen Angst, daß die europäische Entschiedenheit in dieser Sache plötzlich nachläßt.

Über welche Probleme wollen Sie mit der EU-Troika eigentlich sprechen?

Das hat zwei Dimensionen, einerseits die alles überwölbende Frage der Fatwa und des iranischen Staatsterrorismus, andererseits die persönliche und lokale Ebene. Um mit dem generellen Problem anzufangen: Die Iraner kommen immer noch durch mit ihrer Politik. Und damit meine ich keineswegs nur die Fatwa gegen mich. Wir haben inzwischen so viele Beweise für die iranische Beteiligung an verschiedenen Terroraktivitäten in Europa und anderswo, daß ich glaube, es muß dringendst gehandelt werden. Es gibt wesentlich mehr Beweise als zum Beispiel gegenüber Libyen. Man sollte mal vergleichen, was man alles gegen Libyen unternommen hat und was gegen den Iran! Die Maßnahmen gegen diesen außer Kontrolle geratenen Staat sind so schwach, daß er glaubt, einfach weitermachen zu können. Im Westen sind die wirtschaftlichen Interessen so stark, daß die Exzesse tendenziell toleriert werden.

Ich spreche als Schriftsteller: Wenn uns an unseren kulturellen Werten liegt, dann müssen wir auch eine Position gegenüber dem Iran finden.

Sie haben auch über eher persönliche Ebenen gesprochen, um die es gehen soll. Gehört das Problem der Reisefreiheit dazu?

Ja. Das ist ja auch gerade der Punkt, wo die Fatwa in Europa implizit anerkannt wurde. Die Fluggesellschaften handeln im Sinne der iranischen Regierung, wenn sie sich weigern, mich zu befördern. Ein freier europäischer Bürger, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen und von einem fremden Staat bedroht wird, sollte durch europäische Institutionen nicht noch ein weiteres Mal diskriminiert werden. Das ist das mindeste. Es ist doch wohl nur fair, wenn ich von Europa verlange, daß mir meine Reisefreiheit gewährt wird.

Die Lufthansa sagt, daß sie „wissentlich keine Sicherheitsrisiken eingehen“ dürfe. Personen mit ansteckenden Krankheiten würden schließlich auch nicht transportiert.

Ich komme aus Indien, aber darum habe ich doch noch nicht die Pest! Was für eine bizarre Situation: Der britische Geheimdienst sagt, daß das Risiko minimal ist. Es ist nicht größer als bei Mitgliedern der königlichen Familie oder Ministern der Regierung. Würde die Lufthansa bei Gerry Adams oder Jassir Arafat auch nein sagen? Der Geheimdienst hat mir zugesichert, europäische Fluggesellschaften im Falle des Falles über die Risken und Verfahrensweisen aufzuklären. Ich bin nicht die einzige gefährdete Person – aber die einzige, die man nicht transportiert.

An der Argumentation der Lufthansa erstaunt, daß es ja geheim geblieben wäre, wenn sie Sie befördert hätte. Warum tun die Fluggesellschaften das trotzdem nicht?

Darauf muß die Lufthansa antworten. Ich sage nur, daß es eine amoralische Entscheidung ist. Angesichts der Beförderungspflicht, des beherrschbaren Risikos und der Bereitschaft der Geheimdienste, die Fluggesellschaften einzuweisen, halte ich das für einen bloßen Akt des Vorurteils. Das muß aufhören. Mehrere Fluggesellschaften transportieren mich. Air France, die das als einzige öffentlich zugibt, hat auch keine anderen Sicherheitsstandards als die Lufthansa. Hier werde ich die EU-Troika auffordern zu intervenieren.

Wenn Sie auf die zwei oder drei Jahre Ihrer Reisen in die verschiedenen europäischen Länder zurückblicken: Sind Sie zufrieden mit der Politik der EU?

Ich bin zufrieden mit dem Standpunkt der EU. Bloß löst man mit einem Standpunkt kein Problem. Mich interessiert, was die EU angesichts des iranischen Terrors tun wird, nicht, was sie sagen wird. Das kenne ich schon. Da habe ich keine Klagen. Interview: Thierry Chervel

Zum ersten Mal ist Salman Rushdie von der Europäischen Union offiziell eingeladen worden. Das haben die Außenminister der zwölf EU-Staaten sowie der vier Beitrittskandidaten Schweden, Norwegen, Finnland und Österreich am Dienstag abend in Luxemburg beschlossen. Rushdie soll von der „EU-Troika“, das heißt von Klaus Kinkel und dem griechischen Außenminister Theodoros Pangalos und seinem französischen Kollegen Alain Juppé, empfangen werden. Kinkel ist der Präsident des Ministerrats.

Damit ist die Verstimmung beendet, die durch einen Brief des Auswärtigen Amts an Rushdie ausgelöst wurde, in dem es hieß, „die deutsche Regierung glaubt nicht, daß ein Treffen zwischen Herrn Rushdie und der EU-Troika im Interesse des britischen Autors liegt“. Zuviel Öffentlichkeit, so der Brief weiter, könne den iranischen Präsidenten Ali Haschemi Rafsandschani nur dazu verleiten, seine Position zu verhärten, und den Konflikt verschärfen. Der Brief liegt der taz vor, wir berichteten gestern. Die Rushdie-Unterstützerinnen Carmel Bedford vom „International Committee for the Defence of Salman Rushdie“ und Frances D'Souza von „Article 19“ bezeichneten den Brief als „unglaublich überraschend“.

Das Auswärtige Amt betonte gestern gegenüber der taz, daß die Entscheidung des EU-Außenministerrats auf Initiative Kinkels und nicht erst nach den Recherchen der taz fiel. Kinkel sei einer der engagiertesten europäischen Politiker in dieser Sache. Einige Ungereimtheiten bleiben dennoch. So behauptet das Auswärtige Amt, es habe gar keinen Brief von Rushdie gegeben, in dem er seinen Wunsch nach einem Treffen ausdrückt. „Rushdie selbst“, so eine Sprecherin, „hat sich nie gemeldet, darum hat er auch nie eine brüske Absage bekommen.“ Tatsächlich aber, so Rushdie in unserem Interview, stand das Auswärtige Amt monatelang im Briefwechsel mit seinen Unterstützern von „Article 19“ und wußte sehr wohl, daß ihn diese Organisation vertritt. Rushdie spricht auch über die Weigerung der Lufthansa, ihn zu befördern, die gestern von der taz aufgedeckt wurde.