Klappe dicht

„Oh boy, it's a girl!“, eine Ausstellung über Gender- und Körperstrategien im Kunstraum Wien  ■ Von Jochen Becker

Die Körperkunst des Wiener Aktionismus ist der Exportartikel Österreichs seit Klimt & Co. Nun kehrt sie 20 Jahre später und über den Umweg New York wieder ins Heimatland zurück. So spekulierte die Wiener Galerie Krinzinger auf deren neugewonnene Hipness in der Kunstwelt und brachte unter dem Titel „Körpernah“ symposiumsgestützt ihre Depot-Reste wieder in Umlauf. Durchsetzt vom kaum gebrochenen Hetero-Sexismus ganz alter Schule, ignorierte die zusammen mit dem Frankfurter Kunstverein geplante Schau die US- amerikanische Frischzellenkur der neuen Body Art durch Women und Gender Studies und gefiel sich statt dessen in einer patriotischen Pose des „Wir haben's ja schon immer gewußt“.

Im Unterschied zu „Körpernah“ sucht die ebenfalls in Wien Station machende Ausstellung „Oh boy, it's a girl!“ den gebrochenen Verbindungslinien vom Wiener Aktionismus zur aktuellen Body Art, zwischen „mein Körper gehört mir“ und Queer Nation nachzugehen. Schon der Titel annonciert, daß ein Brückenschlag zur US-amerikanischen Perspektive gewählt wurde, so daß sich taz- Kurzkritiker Ulf Erdmann Ziegler als die Ausstellung in München Station machte an die letztjährige New Yorker Whitney-Biennale erinnert fühlte. Zu Unrecht, zeigen sich doch neben nordamerikanischen Positionen auch europäische Entwicklungen wie bei Jürgen Klauke, Ugo Rondinone oder Christa Näher. Den als historisch vorgestellten Exponaten von Carolee Schneemann, Valie Export und Gina Pane werden aktuelle Arbeiten junger KünstlerInnen wie Lukas Duwenhögger, Elke Krystufek oder Inez van Lamsweerde gegenübergehängt. Neben bekannteren Positionen von Robert Gober, Mike Kelley oder Robert Longo finden sich in Wien eine aggressiv auf die Wand geschmierte Comix-Collage von Nicole Eisenman und die Transformation lederschwuler Tom-of-Finland-Zeichnungen in den lesbischen Kontext durch G.B. Jones. Obgleich die Ausstellung Feminismen in der Kunst nachgeht, finden sich neben heterosexuell weiblichen und lesbischen auch schwule Positionen oder Travestie.

Die Bandbreite der von Hedwig Saxenhuber und Astrid Wege zusammengefügten Ausstellung reicht von individualistisch geprägten Selbst-Zerstörungen des Körpers, wie sie noch der Wiener Aktionismus prägte, bis zum eher spielerischen Umgang mit Geschlechterrollen. Eine feministische, somit gesellschaftliche Perspektive formuliert die Ausstellung nicht. Entsprechend bleiben politisch aggressive Formen, wie sie etwa die von New Yorker Künstlerinnen begründete Women's Action Coalition (WAC) in bezug auf militante Abtreibungsgegner vertritt, ausgespart. Da „Oh boy, it's a girl!“ die künstlerische Arbeit getrennt von politischen Optionen betrachtet, kann es auch zu einem Artikel in Österreichs maßgeblicher Tageszeitung kommen, in dem die „antiaktivistischen Qualitäten der Ausstellung“ besonders hervorgehoben werden. Mit Bezug auf aktivistische Bewegungen zeichnet Manfred Hermes im Katalog die Schwulen-Politisierung im Deutschland der siebziger Jahre nach: „An erster Stelle steht Identitätspolitik. Alternative Infrastrukturen müssen aufgebaut, Öffentlichkeitsarbeit gegen staatliche Repressionen und § 175 eingeleitet, die Coming-Out-Problematik gestaltet, die eigene Geschichte erforscht und z.B. gekappte Fäden zu jener Schwulenbewegung aufgenommen werden, die von den Nazis zerschlagen wurde.“ Nicht zuletzt aufgrund des Films „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, den Rosa von Praunheim 1970 fürs Kino und Fernsehen produziert hatte, entwickelte sich eine schwule Post-68er-Bewegung, die durch ein stets ambivalentes Verhältnis zur stark heterosexuell geprägten Linken gekennzeichnet war. Mit dem Ausblick auf die Vielfalt US-amerikanischer Bewegungen oder einer Aneignung französischer Theorie wurden gegen Ende der siebziger Jahre Stilfragen relevanter, während andererseits die Aktionen in Lobbyarbeit mündeten und die meisten Heftchen eingingen.

In dem durch Katalog und Rahmenprogramm (Videos, Vorträge, Theorieperformance) noch erweiterten Ausstellungsangebot überschreitet die Arbeit „Leave A Message“ von Thomas Eggerer und Jochen Klein den Rahmen einer klassischen Gruppenschau. Im November letzten Jahres montierten die beiden Künstler an einem öffentlichen Toilettenhäuschen eine Tafel für Mitteilungen, so, wie sie sich auch im Innern der als Treffpunkt und sexueller Begegnungsort für Schwule benutzten Klos finden. Das Nachrichtenbrett wird nur „von Leuten rezipiert werden, die in der Lage sind, die verdeckten Bedeutungs- und Benutzungsebenen dieses Ortes im ,öffentlichen Raum‘ wahrzunehmen“. Nun können auch alle Besucher des Kunstvereins auf der hochvergrößerten und etwas flau reproduzierten Tafel unter anderem Hinweise auf Partys oder Treffen im Freien entziffern. Um die Wiedergabe der Tafel gruppieren sich zahlreiche Zeitungsausrisse und Kommentare. Denn vier Monate später entschied die neue rotgrüne Stadtregierung von München, die als zu teuer erachteten Toiletten zu schließen oder in Proberäume und kulturelle Stätten umzuwidmen. Man möchte nicht nur eine Million Mark für den Unterhalt der vielfältig genutzten öffentlichen Toiletten einsparen, sondern nun die Häuschen à 60 Quadratmeter durch die Firma Soft-Research vermarkten lassen: „Bevor die Häuser verrotten, nutzen wir sie für andere Zwecke.“ Wie die Aussage von Bürgermeisterin Sabine Csampai deutlich macht, werden die Klappen nicht nur wegen „Geldmangel“ geschlossen. Die Schließung, Räumung und Säuberung „verrotteter“ Elemente entspricht einem Münchner City-Management der Segregation anhand der Linien von Ökonomie und sexueller Orientierung. Der auch der Stadtverwaltung bekannten Toilettennutzung als Klappe suchte diese mit dem Vorschlag zu entsprechen, daß sich „Homosexuelle“ ausgerechnet in dem von Eggerer und Klein gewählten Häuschen „ein nettes Café einrichten“ sollen. Während so Schwulsein öffentlich geduldete Präsenz erfährt, werden dem Treffpunkt Klo Regularien diktiert. Wie die übrigen 33 geschlossenen Toiletten von Urin und Sex „gereingt“, wird der Ort als gastronomische Toleranzzone in die Aufsicht des Ordnungsamtes gestellt.

Die beiden Künstler vergleichen die geplante Umwandlung mit der „Christianisierung heidnischer Kultstätten“. Schwule Lebensformen werden nur im Rahmen des Kulturellen verhandelt und hierbei repressiv toleriert. Sie sehen im Beschluß einer sich „sozial aufgeschlossen und fortschrittlich“ gebenden Verwaltung nur den Hebel, die als Minderheiten ausgemachten Personen „in ihre Kulturpolitik“ zu integrieren, ohne jedoch Schwulen gesamtpolitische Mehrheiten zu verschaffen: „Der Vorgang der Absorption marginalisierter Positionen bedeutet lediglich eine Erweiterung des Territoriums nach außen und nicht etwa eine Aufgabe der kulturellen Definitionsmacht.“ Obgleich Thomas Eggerer und Jochen Klein ja ebenfalls mit der Nachrichtenwand das Innere nach außen kehrten und – indem sie die Tafel in den Kunstverein hineintrugen – den Präsentationsrahmen der Kultur wählten, stellen sie jedoch die Funktion der Klos als Klappe nicht in Frage.

Das ganze Ausmaß der liberal sich gebenden Ignoranz zeigte sich bei einer Fragestunde im Szenetreff SUB, nachzulesen in einem aufgehängten Ausriß der Süddeutschen Zeitung. Dort äußerte FDP- Vertreter Hildebrecht Braun: „Ich finde es auf öffentlichen Toiletten ausgesprochen ungemütlich. Es riecht nach Urin. Ich würde mir dort nie eine Partnerin suchen.“

Bis 15. Oktober im Kunstraum Wien.