Unkraut oder Nutzpflanze?

■ Brennesselanbau hat viele ökologische Vorteile Von Daniela Pfeiffer

Als Zierpflanze ungeeignet, für Gärtner ein schieres Ärgernis, für die Haut schmerzhaft: Die Brennnessel gilt den meisten Menschen als lästiges Unkraut. Der Biologe Jens Dreyer sieht in ihr dagegen eine vielfältige Nutzpflanze.

Seit zwei Jahren widmet er der Urtica dioica Linne, so die korrekte Bezeichnung für die brennende Nessel, einen großen Teil seiner Zeit: Er baut Brennesseln an, um aus den festen, langen Fasern der abgeernteten Pflanzen Stoffe und Papier zu gewinnen.

„Der Brennesselanbau ist wesentlich umweltfreundlicher als zum Beispiel der von Baumwolle“, erzählt der 29jährige, denn sie brauchen keine gärtnerische Pflege, wirken durch ihre Aufnahme von Nitraten aus dem Boden dem Stickstoffüberangebot entgegen und kommen ohne Pestizide und Insektizide aus. Die Fasern aus den getrockneten Brennesseln werden ohne den Einsatz von Chemikalien gewonnen.

Gerade in Ländern der dritten Welt, wo die Böden durch den Mangel an Wasser oft stark salzhaltig sind, würde sich der Anbau von Brennesseln anbieten, denn die Pflanze benötigt kaum Wasser und gedeiht auch auf Böden, auf denen andere Pflanzen eingehen.

Das aus den Holzteilen der Brennesselstengel hergestellte Papier wäre nicht nur billiger als herkömmliche Ware, sondern die Alternative könnte auch der Abholzung der Regenwälder entgegenwirken: „Diesem Raubbau an der Natur muß endlich ein Ende gesetzt werden“, fordert Biologe Dreyer. Die holzhaltigen Brennesselfasern bieten sich auch für Papierrecycling an: Normalerweise kann Altpapier nur dreimal wieder aufbereitet werden, dann werden die Holz-Fasern zu kurz. Würden jedoch lange Brennessel-Fäden untergemischt, könnte das alte Papier länger verwendet werden.

Nicht ohne Stolz präsentiert Jens Dreyer seine bis zu 2,80 Meter großen Brennesseln, die er auf einem 300 Quadratmeter großen Feld im Ahrensburger Ortsteil Wulfsdorf anbaut. Rund 30 verschiedene Zucht-Sorten kann er ernten – ein Erbe des verstorbenen Gustav Bredemann, der in den zwanziger und dreißiger Jahren eben jenes Feld beackerte und Brennesseln zu Garn verarbeiten ließ. Erst vor zwei Jahren entdeckte Jens Dreyer in der Bibliothek die Arbeit des Professors, seitdem ist er von der Idee der Brennessel als Nutzpflanze begeistert.

„Ein ökologischer, extensiver Brennesselanbau wäre eine Möglichkeit, die Agrarprobleme der EU anzugehen“, gerät Dreyer ins Schwärmen. „Aufgrund der Nahrungsmittel-überproduktion liegen 4,4 Millionen Hektar Land brach, nachwachsende Rohstoffe sind gefragt. Brennesselanbau ist die Lösung. Die Felder leben von sich selbst, Brennesseln sind die ideale Medizin für überdüngte Böden.“

Mehrere Textilfirmen machten Jens Dreyer zwar schon Angebote für seine Öko-Stoffe. Doch die Brennesseln werden noch nicht professionell und gewinnbringend angebaut. Dem Biologen stehen dafür weder finanzielle Mittel - es fehlen Sponsoren - noch der nötige Platz und Hilfskräfte zur Verfügung.

Zur Zeit hält ihn nur sein unerschöpflicher Idealismus bei der Arbeit. „Der Brennesselanbau hat wirklich Zukunft“, betont er, „aber längerfristig sind wir leider vom Geld abhängig. Wenn das Projekt am Ende daran scheitert, wäre das wirklich schade.“