Die Architektur der Frisur

Der britische Friseur Vidal Sassoon und seine Verbindung zum Bauhaus / Der „5-Point-Cut“ als Wendepunkt der Frisurmode  ■ Von Petra Brändle

Vidal Sassoon, 1928 in London geboren, begann 1942 seine Laufbahn als Friseur. 1964 eröffnete er seinen ersten Salon in der Londoner Bond Street, unweit der legendären Carnaby Street, am Puls der Zeit. Hier wurde die Gesellschaft umgekrempelt, Musik ein Lebensgefühl. Die Szene nahm sich frech ihre Freiheiten, die Mode als Spiegel der Zeit ließ mit Mary Quants kindlichen Minikleidern die Hüllen fallen, und auch die Frisuren wurden aus dem bändigenden Kunstgriff der Friseure befreit. 1961 entstand Vidal Sassoons Frisur „Nancy Kwan“, ein bestechend einfacher und vor allem pflegeleichter Bob, 1964 sorgte sein „5-Point- Cut“, der geometrische Haarformen und Gesichtszüge in Einklang bringt, für Aufsehen. Seit 1965 lebt Vidal Sassoon in den USA, 1983 verkaufte er seine Salons, rund zwanzig weltweit, an Annie Humphreys und Philipp Rogers, zwei Mitarbeiter. Am 18. Oktober wird der vierte Salon Deutschlands in Berlin eröffnet, in der Schlüterstraße 38, Tel.: 884 50 00.

Daß die neuesten Frisuren mancher Starfriseure heutzutage starke Ähnlichkeit mit einem Mop aufweisen, daran hat man sich längst gewöhnt. Grunge- und Neopunk- Strähnen sind die wiedererstandenen Phänomene des altbekannten (Punk-)Wildwuchses, aktuelle Nachzüglertrends also der Mode, die einst auf der Straße aufgelesen wurde. Damit wurde die Befreiung der Haare im Laufe der Jahre auf die Spitze getrieben, ja in ihr Gegenteil verkehrt. Die Anti-Ordnung des Hochhaares vereinnahmt bei genauerer Betrachtung wohl ähnlich viel Zeit wie die mit Brennschere und Lockenwickler domestizierten, geknoteten, ondulierten und versteiften Kunstfrisuren längst vergangener Zeiten.

Im Wildwuchs ist aber auch die Antwort auf die schlichten und formstrengen Schnitte zu sehen, die, nach einer kurzen Bubikopf- Episode in den zwanziger Jahren, in den Sechzigern erstmals die praktischen und pflegeleichten Kurzhaarfrisuren durchsetzten. Bauhaus läßt grüßen! Ja, tatsächlich – diese Verbindung zieht der britische Friseurmeister Vidal Sassoon selbst, von ihr zeugte 1992 auch eine Ausstellung des Dessauer Bauhauses.

Für Sassoon galt es, die einfache Reproduzierbarkeit der Frisur zu entwickeln. Dazu mußte, ganz im Geiste der Sassoon bekannten New Yorker „new bauhaus“-Linie, alles Überflüssige über Bord geworfen werden. Und: Die Form brauchte eine (pflegeleichte oder dem Gesicht angemessene) Funktion. Der Haarschnitt für die perfekte Form jedoch bedurfte ausgeklügelter Schnittechniken, die es bis dahin noch nicht gab. Zu Sassoons Verdiensten gehört es, genau diese Techniken entwickelt und – ebenso ein Novum – in Schulen und Akademien in London seit 1966 weitergegeben zu haben. Gründlich wurde dort das Material Haar und seine Eigenschaften erkundet, um es möglichst natürlich wirken zu lassen. So geriet der altgediente „Haarkünstler“ bei Vidal Sassoon zuerst zum Handwerker. Erst später war Kreativität wieder gefragt – auch dies eine Parallele zum Bauhaus, das im Ausbildungssystem die Grundtechniken vor der freien, künstlerischen Gestaltung vermittelte. In beiden Fällen sollte die Kreativität allerdings vom Spürsinn für kommende Entwicklungen beseelt sein.

Für Sassoon besteht eine „Analogie zwischen dem architektonischen Entwurf für eine Stadt und der Gestaltung einer Form für ein Gesicht“. Sein Traumhaar wächst im „Reich der Geometrie: Quadrate, Dreiecke, Rechtecke und Rhomben“ waren – unterschiedlich ausgeprägt – über Jahre hinweg Richtlinien, das „Wash and Go“-Prinzip sein Motto. Eine quasi geschäftsschädigende Idee, die sich gar mit der weiblichen Emanzipation in Einklang bringen läßt: „Aufgrund der Errungenschaften des Feminismus wollte und konnte keine intelligente Frau dreimal die Woche zum Friseur gehen, um sich die bis dahin übliche Frisur machen zu lassen. Plötzlich mußte das Haar auch bei einem Mindestmaß an täglicher Zuwendung toll aussehen. Mit einem perfekten Schnitt konnten Frauen ihr Haar waschen und spülen, und es fiel ganz einfach wieder in Form“, so erklärt Vidal Sassoon die Ursprünge der Erneuerung, freilich auf die anspruchsvolle Klientin bezogen, die gutsituierte Frau, die sich ihr Aussehen etwas kosten lassen kann und will.

Auch wenn das Buch zur Dessauer Ausstellung stellenweise zur Selbststilisierung gerät – etwa dann, wenn sich Sassoon selbst als „innovativen Protagonisten“ des Friseurhandwerkers lobt, gibt es doch einen Überblick über das hervorragende Formempfinden und den stilvollen Geschmack eines Salons, der – very british – niemals billigem modischem Schnickschnack verfällt. Auch wenn die stark asymmetrischen und fransigen Frisuren der achtziger Jahre heute merkwürdig unangenehm berühren (ihre Zeit liegt einfach noch nicht lange genug zurück), so entdeckt man doch eine Linie, die sich an dauerhafter gestalterischer Ästhetik orientiert. Und das macht die Sassoon-Frisuren der sechziger Jahre, deren Grundzüge auch in der neuen Kollektion wieder zu entdecken sind, so aktuell.

Herzlichen Dank an das Bauhausarchiv

Berlin

Literatur: „Vidal Sassoon und das Bauhaus“. Edition Cantz, 1992