■ Spielcasinos in den Indianerreservaten machen Millionen-Umsätze
: Bleichgesichter zocken auch ohne bunte Cocktails

New York (taz) – Chief Quiet Hawk sah in diesem Sommer das Wohl seines Volkes ernstlich bedroht. Zur Besänftigung der Götter opferte der Häuptling der Mashantucket Indianer deshalb 100.000 Dollar – eine Kleinigkeit für seinen Stamm, der jährlich Millionen mit der Spielsucht der Bleichgesichter verdient. Doch die kleine Geldspende an Clintons Demokratische Partei bringt ihn jetzt in ernsthafte Schwierigkeiten. Denn Republikaner-Senator Nicholas A. Spano sieht in dieser kleinen Spende einen klaren Fall von Bestechung.

Noch ist nichts bewiesen. Aber Senator Spano findet es höchst verdächtig, daß der Häuptling gerade zu der Zeit das Scheckbuch zückte, als im Bundesstaat New York darüber abgestimmt werden sollte, ob dort Indianer in Zukunft Spielcasinos eröffnen dürfen – eine Entscheidung, die den Chief und seine Stammesgenossen brennend interessiert. Denn die Mashantucket Pequots betreiben seit ein paar Jahren in Connecticut eine lukrative Spielhölle – bislang konkurrenzlos. Neue Casinos im Nachbarstaat New York wären schlecht fürs eigene Geschäft. Doch die Pequots können erst mal aufatmen: Die Spielhallenpläne für New York sind bis auf weiteres vertagt. Ob das mit der Geldspende an die Demokraten zusammenhängt, wird jetzt die Staatsanwaltschaft überprüfen.

Seit der Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs von 1988, die es Indianern unter bestimmten Umständen erlaubt, auf ihrem Land Glücksspiele zu betreiben, gelten Casinos als die Wunderwaffe gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Agonie im Reservat. Inzwischen haben rund 90 Indianerstämme Spielhöllen eröffnet, in Arizona und Nebraska, in Kalifornien und Connecticut – insgesamt in mehr als 20 US-Bundesstaaten. Die Umsätze sind exorbitant: 15 Milliarden Dollar werden derzeit jährlich an den Slot-Machines und Bingo-Tischen im Indianerland eingenommen, Tendenz steigend. Das Foxwoods-Casino der Pequots in Connecticut ist das derzeit größte Casino mit einem Jahresumsatz von rund 600 Millionen Dollar.

Mit dem Glanz und Glamour von Bugsy Siegels Flamingo Club in den vierziger Jahren haben die neuen Glücksspieltempel allerdings ebensowenig zu tun wie mit den künstlichen Vulkanen und weißen Tigern des heutigen Las Vegas. In den Indianerreservaten wird selten Roulette oder Black Jack gespielt. Und Frank Sintara oder Sigfried und Roy lassen sich nie in den billigen Spieleretablissements sehen.

Hinter schillernden Namen wie dem Red Rock Palace in Oklahoma oder dem Mystic Lake Casino in Minnesota verbirgt sich oft nicht mehr als eine fensterlose Blechhalle mitten im Ödland, zu der spielsüchtige US-AmerikanerInnen busladungsweise gekarrt werden. Doch wer ein echter gambler ist, der legt ohnehin nicht den geringsten Wert auf teure Show- Acts und bunte Cocktails. Wichtig ist allein das Zocken: das Klimpern der Maschinen, die drei roten Kirschen im Fenster der Slot-Machine oder die richtige Zahlenkombination beim Bingo. Gewinnen, gewinnen, gewinnen.

Der Spieltrieb der Amerikaner ist ungebrochen. Doch während die Glücksritter, die vor 100 Jahren auf den Schaufelraddampfern des Mississippi pokerten, noch zu den Outlaws der Gesellschaft zählten, ist gambling heute der US-Volkssport Nummer eins. 1993 besuchten 92 Millionen Amerikaner Spielcasinos. Insgesamt verpulverte die US-Nation letztes Jahr 330 Milliarden Dollar beim legalen Glücksspiel, für Rubbellose, Lotterien oder Pferdewetten. Für viele Indianer kommt der Geldsegen, den die weißen Siedler in die Reservate bringen, gerade recht. Die nordamerikanischen Ureinwohner zählen immer noch zu den ärmsten der ethnischen Minderheiten in den Vereinigten Staaten. Über zwei Drittel der rund zwei Millionen Indianer leben unterhalb der Armutsgrenze. In den Reservaten, wo die Hälfte von ihnen lebt, ist die Situation noch weitaus dramatischer. Alkoholismus, Gewalt und Selbstmorde sind dort an der Tagesordnung.

Da scheint die Aussicht auf ein lukratives Geschäft mit Spielcasinos wie ein Silberstreif am Horizont. Den Shakopee-Indianern mit rund zweitausend Stammesmitgliedern brachte ihr Mystic Lake Casino in Minnesota im letzten Jahr mehr als 400.000 Dollar pro Kopf Ausschüttung. In diesem Jahr rechnen Spielunternehmer sogar mit 500.000 Dollar. Ein Großteil der Einnahmen wird in soziale Einrichtungen wie Hospitäler, Schulen und Universitäten gesteckt. Inzwischen gibt es sechsundzwanzig Hochschulen für Indianer mit mehr als 16.000 Studenten, ein Dutzend indianische Radiostationen und sogar eine erfolgreiche Zeitung, die Indian Country Today.

Doch schon zeigen sich Risse im Glücksrad. Die steigenden Umsätze in den Reservaten lassen alteingesessene Glücksspielunternehmer in Atlantic City oder Las Vegas langsam unruhig werden. Derzeit klagt Zocker-Multi Donald Trump beim Supreme Court gegen die wettbewerbsschädigende indianische Konkurrenz. Und auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik. Die Traditionalisten im Indianerlager sehen in dem Spielcasinobetrieb einen billigen Ausverkauf des Stammeserbes. Tatsächlich zeigen die Casinobesucher wenig Interesse an indianischer Kultur. Aufmerksamkeit erregen allenfalls die perlenbestickten Miniröcke der Serviererinnen.

Die meisten Casinos in Reservaten haben weißes Management, das Personal ist ebenso weiß wie die Zockerkundschaft. Aus Mangel an Geschäftserfahrung haben die Indianer ihre Spiellizenzen verpachtet – natürlich mit Gewinnbeteiligung. Eine staatliche Untersuchungskommission kam jedoch unlängst zu dem Schluß, daß die weißen Subunternehmer die Indianer kräftig übers Ohr hauen. Insgesamt sind ihnen durch windige Verträge allein im letzten Jahr rund 60 Millionen Dollar durch die Lappen gegangen, errechnete das US-Department für innere Angelegenheiten. Insider behaupten sogar, daß organisierte Verbrecherbanden die Indianercasinos längst unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Noch ist völlig unklar, wie sich der Casino-Boom in den nächsten Jahren entwickeln wird. Doch momentan überwiegen für viele Indianer noch die Vorteile. „In zweihundert Jahren staatlicher Indianerpolitik ist die Glücksspielsache das einzige, was jemals funktioniert hat“, sagte Tim Wapato, Vorsitzender der indianischen Glücksspielvereinigung, unlängst der New York Times. Tatsächlich wurden mit dem Geld aus den Casinoeinnahmen in den letzten jahren neue Schulen in den Reservaten eröffnet, Straßen, Häuser und Wassersysteme erneuert oder Suchtberatungsstellen eingerichtet.

Sogar traditionelle Bereiche wurden im Zuge des neuen Gründungsgeistes wiederbelebt. Sioux- Häuptling Fred Dubray hat vor kurzem die Forma Tote Hca Ka (Sioux für: der ganze Büffel) gegründet. Das Indianerunternehmen züchtet Bisons und verarbeitet sie zu Steaks, Mokassins und Amuletten.

Seitdem auch außerhalb der Indianerreservate die Nachfrage nach dem cholesterinärmeren Büffelfleisch wächst, läuft das Geschäft glänzend. Und auch den Büffeln, die noch vor einigen Jahren fast ausgestorben waren, geht es dadurch jetzt besser. Inzwischen trampelt schon wieder eine stattliche Herde von 1.000 Tieren über die Prärie.

Zeit für neue Indianerromantik? Wohl kaum. Vor kurzem haben die Lakota Sioux im Badlands- Nationalpark ein paar Imbißbuden eröffnet. Ihr Renner: Buffalo Burger. Ute Thon