Geschwür für die Demokratie

Nach dem Ende der sozialistischen Vetternwirtschaft suchen jetzt die konservativen Regierungsparteien in Frankreich neue „Geldzapfstellen“  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Koffer voller Geldbündel, die von Geschäftsleuten durch die Gegend getragen werden, Firmen, deren einziger Daseinszweck die Beschaffung von Mitteln zur Finanzierung einer Partei ist, Immobilien, die auf wundersame Weise fast nichts kosten.

Auch Frankreich kennt alle diese Phänomene aus den 80er Jahren. Die Namen einiger Unternehmen – „Urba“, „Pechiney“ – wurden damals zu Synonymen für Korruption. Die Hauptempfängerin der gigantischen Bestechungssummen, die langjährig regierende „Sozialistische Partei“ (PS), geriet ins Abseits der öffentlichen Meinung, in die Opposition, und zahlreiche Mitglieder gerieten in Gerichtssaal und Gefängnis.

Kaum ist die sozialistische Vetternwirtschaft in Frankreich vorbei, diskutiert das Land schon wieder über sogenannte „Geldzapfstellen“ – Firmen, die Parteien illegal Geld zuschustern. Es tauchen neue Namen korrumpierender Unternehmen – „Cogedim“, „CGD“ –, aber auch die Namen altbekannter „Geldzapfer“ – wie René Trager und Michel Reyt – in den Medien auf. Heute wie damals funktionieren sie nach einem einfachen Grundmuster: Ein öffentlicher Auftrag wird aus der Verwaltung stark überhöht bezahlt. Das Unternehmen, das die Arbeit ausgeführt hat, behält seinen Anteil ein und überweist den nicht unbedeutenden Rest auf das Konto einer Partei. Gewöhnlich geschieht das auf dem Umweg über einen „Geldzapfer“, der seinerseits noch einen Obolus zurückbehält.

Hauptnutznießerin der illegalen Transaktionen ist jetzt die rechtskonservative „Republikanische Partei“ (PR). In den Jahren 1985 bis 1993 soll sie nach Ermittlungen von UntersuchungsrichterInnen 35 Millionen Franc (etwa 10,6 Millionen Mark) in bar kassiert haben. Dazu gesellt sich noch ein höchst preisgünstig erstandenes Parteilokal in bester Pariser Lage.

Wie einst die Sozialisten sitzen heute die Republikaner in der französischen Regierung und in zahlreichen anderen öffentlichen Ämtern. Selbst ihre Reaktion auf die schwerwiegenden Vorwürfe aus der Justiz hält dem historischen Vergleich stand: Die Parteioberen geben allesamt vor, ein „reines Gewissen“ zu haben, und wollen von nichts gewußt haben.

Einen großen Teil ihres Erfolges in den 80er Jahren hatte die PR der sozialistischen Mißwirtschaft zu verdanken. Angehörige der „Generation Mitterrand“, die beim Amtsantritt des sozialistischen Präsidenten 1981 Jugendliche waren und mit den Skandalen seiner Partei erwachsen wurden, hielten die oppsitionelle „Republikanische Partei“ für eine integre Alternative. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr erlangte die PR 104 Abgeordnetensitze und wurde somit stärkste Formation im konservativen Regierungsbündnis.

Neuerdings mehrt sich parteiintern die Kritik an den drei PR-Regierungsmitgliedern, Industrieminister und Parteichef Gérard Longuet sowie den Parteivorstandsmitgliedern Verteidigungsminister François Léotard und Entwicklungsminister Alain Madelin. Als „Léos Bande“ – die Bande um den jetzigen Verteidigungsminister Léotard – waren sie in den 80er Jahren bekannt geworden und wurden als neue Talente und künftige Größen in Frankreichs Politikerhimmel gehandelt. Sie gehören der sogenannten „mittleren Generation“ an, sind alle noch unter 60. Die Affären, in die sie offenbar verwickelt sind, könnten ihnen jetzt ihre politische Zukunft verbauen. Seit dem richterlichen Vorwurf, der Parteichef habe seine Villa in Saint-Tropez zu einem lächerlichen „Freundschaftspreis“ bekommen, häufen sich auch die Rücktrittsforderungen.

Ausgerechnet aus der PR liegt dem Parlament jetzt auch ein Gesetzesvorschlag vor, laut dem grundsätzlich jede Parteienfinanzierung durch Unternehmen verboten werden soll. Autor Charles Millon, PR-Mitglied und Fraktionschef des Parteienbündnisses UDF im Parlament, sieht die gesamte Republik gefährdet: „Die Korruption ist ein Krebsgeschwür für unsere Demokratie.“

Auf ihre Art versuchen französische Spitzenunternehmer, von denen eine ganze Reihe gegenwärtig wegen Bestechungsvorwürfen auf ein gerichtliches Verfahren warten, ihr Verhältnis zur Politik zu bereinigen. Der Chemiekonzern „Rhône-Poulenc“ beschloß, künftig die Parteien entsprechend ihrem Wahlabschneiden zu fördern. Die in kommunalen Bauprojekten beteiligte „Générale des eaux“ will ihre Spenden künftig lieber an Stiftungen als an die Parteien direkt leiten. Ob nach Proporz, im Koffer oder über eine „Geldzapfstelle“ – irgendwie haben alle französischen Spitzenmanager ein pekuniäres Verhältnis zur Politik. Einer von ihnen, Gérard Bourgoin, sagt: „Wer behauptet, nie von einer Partei um Geld gebeten worden zu sein, der lügt.“